Heute und für immer: Roman (German Edition)
ungestümen Bewegung fuhr sie sich wieder durchs Haar. »Sie ist noch ein Kind! Sie braucht dich, sie braucht jemanden, der für sie da ist! Wann hast du dich das letzte Mal mit ihr unterhalten?«
»Mach dich nicht lächerlich. Ich rede jeden Tag mit ihr.«
»Du sprichst zu ihr«, schnappte Kasey wütend zurück. »Das ist ein himmelhoher Unterschied.«
»Versuchst du mir weiszumachen, dass ich sie vernachlässige?«
»Ich versuche nicht, dir etwas weiszumachen. Ich sage es dir auf den Kopf zu. Und wenn du die Wahrheit nicht hören willst, hättest du mich nicht fragen dürfen.«
»Sie hat sich noch nie beklagt.«
»Oh, verdammt !« Kasey wandte sich ruckartig ab und wirbelte gleich darauf wieder herum. »Wie kann ein intelligenter Mensch wie du nur so ein blödsinniges Argument anführen? Bist du wirklich so unsensibel?«
»Vorsicht, Kasey«, warnte er sie.
»Wenn du nicht willst, dass man dich als Idioten bezeichnet, dann benimm dich auch nicht wie einer.« Kasey war es inzwischen gleichgültig, ob sie Jordan verärgerte. Ihr Sinn für Gerechtigkeit lenkte ihre Worte. »Glaubst du wirklich, einem Kind ein Dach über dem Kopf zu geben, es zu ernähren und in adrette Kleidung zu zwängen, sei genug? Alison ist kein Haustier! Und selbst ein Haustier würde Zuwendung brauchen! Sie ist unglücklich, und das genau vor deinen
Augen. So, wenn du mich jetzt bitte entschuldigen willst, ich möchte mir den Schlamm abwaschen.«
Jordan ergriff Kaseys Arm, ehe sie an ihm vorbeigehen konnte. Er zog sie in eine kleine Gästetoilette am Ende der Halle. Wortlos drehte sie den Wasserhahn auf und begann sich die Hände zu schrubben. Auch Jordan sagte nichts, denn ihre Worte hallten in seinem Kopf wie ein Echo wider. Kasey verfluchte sich im Stillen.
Es war nicht ihre Absicht gewesen, Jordan derart anzublaffen. Sie hatte zwar vorgehabt, mit ihm über Alison zu sprechen, aber auf eine ruhige, diplomatische Weise. Sie war immer der Ansicht gewesen, dass es nicht klug sei, seine Meinung unbedacht hinauszubrüllen, denn je lauter man wurde, desto weniger hörte einem der andere zu. Und sie hatte sich geschworen, sich in Gegenwart von Jordan Taylor nicht von ihren Gefühlen hinreißen zu lassen. Dennoch passierte es ihr immer wieder. Sie griff nach dem Handtuch, das er ihr hinhielt, und trocknete sich die Hände ab.
»Jordan, ich bitte um Entschuldigung.«
Sein Blick war ganz ruhig. »Wofür genau?«
»Dafür, dass ich dich angebrüllt habe.«
Er nickte langsam. »Für dein Verhalten als solches, nicht für den Inhalt«, stellte er richtig. Kasey seufzte vernehmlich. Er war kein einfacher Mann.
»Ganz richtig. Ich neige mitunter zur Taktlosigkeit.«
Jordan entging nicht, wie Kaseys Finger das Handtuch kneteten. Sie fühlte sich offenbar ganz und gar nicht wohl in ihrer Haut, war aber auch nicht bereit, einen Schritt von ihrer Meinung abzuweichen, was Jordan widerwillig bewunderte. »Warum versuchst du es nicht noch einmal?«, schlug er vor. »Und ohne zu brüllen.«
»Also schön.« Kasey nahm sich einen Moment Zeit, um ihre Argumente zu sortieren. »Alison kam noch am Abend meiner Ankunft zu mir ins Zimmer, um sich vorzustellen. Ich sah ein adrett gekleidetes Mädchen mit glänzendem Haar und tadellosen Manieren. Und mit traurigen, einsamen Augen.« Die Erinnerung ließ ihr Mitleid wieder aufleben. »Und solche Traurigkeit und Einsamkeit mag ich nicht akzeptieren, nicht bei einem Mädchen, das noch das ganze Leben vor sich hat. Das bricht mir das Herz.«
Ihre Stimme begann wieder zu vibrieren, doch diesmal waren ihre Gefühle anders. Es war keine Wut, die aus ihrer Stimme sprach. Sie flehte ihn vielmehr an, die Dinge so zu sehen, wie sie sie sah. Jordan bezweifelte, dass sie überhaupt bemerkte, wie intensiv ihre Augen ihn anblickten. Sie dachte einzig und allein an das Mädchen. Ihr Mitgefühl berührte ihn. Eine weitere Überraschung.
»Sprich weiter«, verlangte er, als sie innehielt. »Sag mir alles.«
»Es geht mich ja eigentlich nichts an«, fuhr Kasey fort und spielte wieder nervös mit dem Handtuch. »Du hast natürlich das Recht, mich darauf hinzuweisen, aber das würde an meinen Gefühlen nichts ändern. Ich weiß, wie es ist, die Eltern zu verlieren – die Zurückweisung, die schreckliche Verwirrung … Man braucht jemanden, der einem dabei hilft, den Verlust zu verarbeiten, selbst wenn man ihn nicht begreifen kann. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Menschen sterben, die man liebt und von denen man
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