Hex Hall 02 - Hawkins, R: Hex Hall 02
schließlich nicht umsonst zahlreiche Verteidigungskurse bei der Vandy gehabt.
Technik Nr. 8, du Dumpfbacke, dachte ich, als ich den Ellbogen zurückriss und gleichzeitig versuchte, ihn mit dem Stiefelabsatz, so fest ich konnte, auf den Fuß zu treten.
Er wehrte jedoch beide Manöver mühelos ab, indem er meinem Ellbogen seitlich auswich, noch während er mich fester um die Taille fasste und mich dann ein bisschen anhob, so dass mein Absatz, ohne den geringsten Schaden anzurichten, einfach ins Leere traf.
Für einen kurzen Augenblick bekam ich richtig Panik. Jeder, der die Verteidigungstechniken von Prodigien abblocken konnte, war wesentlich gefährlicher als irgendein x-beliebiger Perverser. Ich wollte es gerade mit Technik Nr. 15 versuchen, die es mit sich brachte, dass ich ihm sowohl die Nase brechen würde als auch potenziell seine Chancen ruinieren konnte, jemals Kinder zu zeugen, da beugte sich das Auge vor und flüsterte mir ins Ohr: »Denk nicht mal dran, Mercer.«
15
Sag, dass das nicht wahr ist.
Das war der einzige Gedanke in meinem Kopf, als Archer mich wieder auf die Füße stellte und meine Taille losließ.
Da musste irgendeine Verwechslung vorliegen. Garantiert lief in England noch irgendein Typ rum, der eben zufällig unsere Verteidigungsmanöver kannte und mich Mercer nannte. Es war doch absolut unmöglich, dass ausgerechnet diese Nacht diejenige sein sollte, in der ich von Angesicht zu Angesicht …
Ich drehte mich um.
Zwar waren die Lichtverhältnisse in diesem Teil der Gasse recht schwach, aber trotzdem war es definitiv Archer Cross, der dort vor mir stand. Er sah erheblich ungepflegter aus als bei unserer letzten Begegnung. Dunkle Bartstoppeln überwucherten die untere Hälfte seines Gesichtes, und sein Haar war auch viel länger. Aber vor allem sah er älter aus. Dabei irgendwie müde. Und dennoch war das Wiedersehen mit ihm wie ein Schlag vor die Brust.
Mich durchströmten so viele Gefühle, dass ich eine Weile brauchte, um sie einordnen zu können: Furcht, definitiv. Schock auch.
Doch inmitten dieser starken Emotionen verbarg sich noch etwas anderes, ein Gefühl, von dem ich mir nicht so ganz sicher war, ob ich ihm tatsächlich einen Namen geben wollte.
Es fühlte sich ein bisschen an wie … Freude.
Aber ich verbannte es gleich wieder in die hinterletzte Schublade. Der erste Schock legte sich langsam, und ich dachte an die letzte Situation, in der ich mit Archer allein gewesen war und er mich mit einem Messer bedroht hatte. Ich würde bestimmt nicht herumstehen und abwarten, was er diesmal für mich parat hatte.
Also nahm ich meine letzten Kraftreserven zusammen, um doch noch etwas Magie aus mir herauszuholen. Ich mochte zwar nicht in der Verfassung sein, einen Transportzauber zu bewerkstelligen, aber ein schneller Blitzstrahl dürfte seine Wirkung auch nicht verfehlen. Schon konnte ich spüren, wie die Magie von meinen Fußsohlen ausgehend in mir emporkroch, doch sie war noch recht schwach. Wahrscheinlich würde ich mich glücklich schätzen können, wenn ich auch nur ein paar Funken in seine Richtung schleuderte.
Bevor ich jedoch wenigstens das versuchen konnte, packte er mich an den Armen, zog mich tiefer in die Dunkelheit und drehte mich dabei so, dass ich mit dem Rücken an der Wand stand.
Sofort riss ich mein Knie hoch. Es war weniger eine Verteidigungstechnik als ein weiblicher Instinkt, aber das spielte ja keine Rolle. Er wich auch diesem Manöver aus. Als ich versuchte, von ihm wegzukommen, hielt er meine Handgelenke fest umklammert und stand schließlich unmittelbar vor mir.
»Ich werde dir nicht wehtun«, raunte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Aber das kann ich von den anderen leider nicht behaupten.«
Als ich daran dachte, wie viele Mitglieder von L’Occhio im Shelley’s gewesen waren, hörte ich auf, mich zu wehren. Genau in diesem Moment schrie eine eher jungendliche Stimme: »Cross!«
Archer schaute über seine Schulter und drehte sich so hin, dass ich vor den Blicken seiner Kumpane verborgen blieb. »Sie ist es nicht«, rief er zurück. »Nur ein Menschenmädchen, falscher Ort, falsche Zeit.«
Daraufhin ratterte der Typ eine Abfolge von Worten in einer Sprache herunter, die ich für Italienisch hielt. Zumindest klang es so. Ich konnte natürlich nicht verstehen, was er sagte, aber was es auch sein mochte, Archer murmelte jedenfalls ein sehr eindeutiges Wort, bevor er in derselben Sprache antwortete – mit seiner vertrauten Stimme klangen die
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