Hexe auf leisen Sohlen
den Kopf. »Sie sagten
nichts, Daniel. Sie wendeten sich ab und sahen nicht hin. Das war alles.«
Die Magnum war unbeweglich auf
mich gerichtet, als hielte sie eine Hand, die aus Stein gemeißelt war.
Jedesmal, wenn ich ihn anblickte, sah ich auch auf die Mündung der Waffe, und
jedesmal wurde sie größer und kam mir bald so groß wie die einer Feldhaubitze
vor. Und ich wußte genau, was passieren würde, wenn er den Abzug durchdrückte,
denn ich hatte den Abzug einer Magnum selbst schon einmal abgedrückt.
Nicholas sah gut aus — wenn man
bedachte, daß er aus einem Sanatorium ausgebrochen und die ganze Nacht
aufgeblieben war, um darauf zu warten, daß ein gewisser Danny Boyd nach Hause
käme, damit er ihm den Kopf abreißen konnte. Auf den ersten Blick sah er also
gesund und munter aus. Erst wenn man genauer hinsah, wurde es einem
unbehaglich. Dann erst fielen einem die Kleinigkeiten auf: das nervöse Zucken
in seinem rechten Augapfel zum Beispiel, oder der rötliche Schimmer in seinen
beiden Augen und der Pulsschlag, der zu heftig in seiner Kehle klopfte.
»Warum sagen Sie gar nichts,
Daniel?« fragte er. »Warum lassen Sie mich ganz allein reden? Schließlich ist
das doch eine Wiederbegegnung.«
»Also gut«, erklärte ich. »Man
hat Sie hereingelegt, Nickyboy . Man hat Sie in ein
Sanatorium eingewiesen, aber das kann alles wieder in Ordnung gebracht werden.«
»Das ist sehr nobel von Ihnen,
Daniel.« Seine Stimme wurde lauter und schärfer, während er sprach. »Wirklich
sehr nobel. Es kann also in Ordnung gebracht, vielleicht sogar rückgängig
gemacht werden. Aber brächte das nicht meine Frau in Verlegenheit, nach all den
Schwierigkeiten und Kosten, die sie damit hatte, Sie zu diesem Zweck zu
engagieren?« Seine Augen wurden groß. »Daran habe ich ständig gedacht«, fuhr er
fort. »Ich konnte meine Gedanken nicht davon abbringen. Sie und Adele, wie Sie
zusammen nach New York zurückfuhren, vor Vergnügen darüber quietschend, wie Sie
mich übertölpelt und ins Irrenhaus gebracht haben und daß ich selbst noch dabei
geholfen hatte. Das Messer, das ich zog, muß Ihnen Krämpfe verursacht haben.
Das war doch genau das Richtige, wie, Daniel?«
»Es war eine Hilfe«, gab ich
zu.
»Dauernd dachte ich an Sie
beide, wie Sie lachten, und dann fing ich an, an Sie beide zu denken, wie Sie
nicht mehr lachten. Dadurch wurde es nicht besser. Wie hat denn Aubrey die
Nachricht von seines Vaters Schizophrenie aufgenommen? Abgesehen von seinem
fröhlichen Gelächter bei der Vorstellung, daß sein alter Herr vielleicht gerade
mit dem Kopf gegen die Wand einer Gummizelle anlief.«
»Genießen Sie es ruhig, Nickyboy «, antwortete ich. »Sie haben die Waffe in der
Hand. Wo ist Charity Adam?«
»Sie schläft fest in Ihrem
Schlafzimmer«, antwortete er. »Ich kam bei Morgengrauen hierher, Daniel,
drückte auf die Klingel, und sie öffnete mir die Tür. Sie war der einzige
Mensch, der sich ehrlich freute, mich zu sehen. Sie machen sich keine
Vorstellung davon, was das für mich bedeutete. Sie briet mir ein Steak und
machte mir Kaffee. Wir rauchten eine Zigarette. Dann legte sie sich schlafen. Selbstverständlich
wußte sie nicht, daß ich auf Sie wartete, um Sie umzubringen.«
»Selbstverständlich nicht«,
stimmte ich zu. »Haben Sie Vernon Clyde denn nicht gesprochen?«
»Ich ging zu seiner Wohnung«,
antwortete er. »Niemand öffnete mir. Warum?«
»Er wurde heute
nacht ermordet«, sagte ich. »Alle behaupten, daß Sie es waren, Nickyboy . Ein mordlustiger Wahnsinniger, der herumläuft.
Der verrückt gewordene Schauspieler, der seinen Freund und Regisseur in einem
Tobsuchtsanfall umbrachte. Mit einem Messer zerfleischte. Sie stecken nicht nur
im Dreck, mein Freund, Ihr Kopf steckt schon in der Schlinge.«
»Und woher soll ich wissen, daß
Sie nicht lügen?« entgegnete er.
»Das können Sie nicht«,
antwortete ich. »Aber früher oder später wird jemand seine Leiche finden. Hat
Ihnen Charity denn nicht erzählt, was heute nacht passierte? Sie war dabei.«
»Nein«, antwortete er leise,
»das tat sie nicht.«
»Vielleicht fürchtete sie sich
vor Ihrer Reaktion«, meinte ich. »Sie hätten bei Ihrer Flucht aus dem Sanatorium
dem Wärter nicht den Arm brechen dürfen, Nickyboy .
Damit ist ein für allemal besiegelt, daß Sie gewalttätig und gefährlich sind.«
Einen Augenblick lang sah er
mich aufrichtig erstaunt an. »Was reden Sie denn da?« entgegnete er. »Es gibt
keinen Wärter mit einem gebrochenen Arm.
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