Hexe sucht Besen (German Edition)
wirklich mit der Hausnummer 77 gekennzeichnet ist. Ich stecke den Schlüssel in das blank gewienerte Messingschloss, schließe auf, laufe ehrfürchtig den von großen Säulen gesäumten Eingang hinauf und verweile auf einer goldenen Namenstafel, die auf eine Arztpraxis im Erdgeschoss verweißt, in der sicherlich dem gemeinen Kassenpatienten der Zutritt verweigert wird. Ansonsten kann ich keine weiteren Namensschilder, außer das meines Onkels, auf dem die Initialen seines Namens eingraviert sind, erspähen. Feierlich schreite ich die Marmortreppen hinauf und stütze mich an dem kunstvoll verschnörkelten Treppengeländer ab, um nicht vor Hochmut ins Taumeln zu geraten. Mit weit aufgerissenen Augen stehe ich nun , fassungslos vor Glück, in meinen notariell beglaubigten eigenen vier Wänden.
Prachtvolle, ornamentgefertigte Stuckdecken erstrecken sich über mein betörtes Haupt, fein getäfelter Parkettboden liegt mir zu Füßen und erlesene Antiquitäten, deren Wert ich aus mangelnden Sachverstand nicht einzuschätzen vermag, stehen ohne Berührungsängste, wie in einem Streichelzoo herum. Ich bin überwältigt und schussle auf meinen Strümpfen von Zimmer zu Zimmer, die alle miteinander , mit Türen so groß wie Scheunentore, verbunden sind. Vor der riesigen Bar im grünen Salon drehe ich eine kleine Pirouette und gönne mir aus der wertvollen Kristall g araffe ein edles Schlückchen.
Womit habe ich das verdient? frage ich mich, während ich mich schwindsüchtig vor Freude auf einem echten Tigerfell wälze und meine funkelnden Augen an den Ölgemälden an der Wand verweilen lasse. Onkel Jonathan hat in seinem herrschaftlichen Refugium, historische und moderne Kunstgegenstände miteinander kombiniert. An den Wänden hängen Landschaftsaufnahmen in barocken Goldrahmen, aber auch moderne Werke, deren Maler ich nicht kenne. Auch bei der Zusammenstellung der Möbel, hat er sich an dieses Prinzip gehalten. Meiner Meinung nach sehr begrüßenswert, denn schließlich ist es gemütlicher sich in einen mondänen Ledersessel aus dem 21. Jahrhundert hinein zu fläzen, als auf einem Kanapee aus dem 19.Jahrhundert Haltung zu bewahren. Wenn Walter meine ererbte Residenz jetzt sehen könnte, würde sich sein Teint vor Neid der Farbe des grünen Salons angleichen. Im Gegensatz zu ihm, bleibt mir erspart mit dem Beil herum zu laufen, nein, ich muss mein edles Mobiliar versichern. Keine Frage, ich werde hier in diesem elitären Tempel einziehen und bis an mein Lebensende mit Zepter und Krone residieren. Meinen Kater nur noch vom goldenen Tellerchen essen lasse, mir einen Adelstitel kaufen, einen Ring anfertigen lassen , auf dem mein Siegel prangt und jedem Mitgiftjäger, der sich als Verehrer ausgibt, meine feingliedrige Hand huldvoll zum Handkuss entgegen strecken.
Genug geträumt! Bevor ich wieder nach Hause in meine bescheidene Hütte fahre, öffne ich noch schnell die große Flügeltür im blauen Salon und betrete majestätisch den prunkvollen Balkon, von dem man direkt auf die Hauptverkehrsstraße blicken und am schlichten Treiben des gemeinen Volkes teilhaben kann. Von gemütlichen Straßencafes, illustren Kneipen, einladenden Restaurants, bis zu schnieken Boutiquen, ist hier alles vorhanden, was man als Neureiche von seinem Umfeld voraussetzt. Ja, ja, ich weiß, und merke selbst, wie mir der Größenwahn zu Kopf steigt, es langsam in meine Nasenlöcher hineinregnet und sich meine Gang in ein kapriziöses Schweben verwandelt hat. Ich gelobe Besserung und verschließe die schweren Flügeltüren, kontrolliere, ob all die anderen Fenster gut verschlossen sind und fahre nach Hause.
Dort angekommen, werde ich von einer merkwürdigen Unruhe angetrieben, das Haus so schnell wie möglich zu räumen. Nicht nur das schlechte Gewissen, wegen meiner Brandstiftung, auch das Bedürfnis, nicht mehr länger den alten Erinnerungen ausgesetzt zu sein, veranlassen mich zum Handeln. Zugegeben, auch die Angst, dass Walter ungebeten erscheinen könnte und mich mit psychologisch ausgefeilten Fangfragen zur Rede stellt, weil er mich verdächtigt, versetzt mich in Panik und treibt mich an. Er würde mich mit seinem Röntgenblick durchschauen. Seinen Verhörmethoden wäre ich einfach nicht gewachsen. Egal ob ich die Gleichgültige, die Entsetzte oder die Verwunderte mimen würde, er würde bemerken, wie ihm meine verräterischen Augen ausweichen, sich meine Hände nervös am Klimmstängel festhalten und mein Fuß in harmonischer
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