Hexen-Horror
zugezogen. Er wollte Luft holen, aber die Kehle klemmte zu. Er hörte sein Herz überlaut schlagen, saß starr auf seinem Platz und schaute Barbara zu, die den Verschluss des Tintenfässchens aufdrehte.
Es war still geworden. Sie legte den Verschluss zur Seite, und wie unter Zwang schaute Dennis auf das kleine Gefäß, aus dessen Öffnung dünner Rauch quoll.
Barbara lächelte. Sie steckte voller Vorfreude. In ihre Augen hatten sich ein entsprechender Glanz gestohlen. Damit schaute sie Dennis ins Gesicht, dem unter dem Blick der Alten ganz anders wurde. Sehr bald hatte er das Gefühl, nicht mehr er selbst zu sein. Etwas schien seinen Körper verlassen und ihn allein gelassen zu haben. War es vielleicht der freie Wille, den nicht mehr gab?
»Rück näher an mich heran, Söhnchen...«
Dennis leistete keinen Widerstand. Er handelte jetzt wie die Gestalt in einem Märchen, bei der die Hexen die Kontrolle übernommen hatten. Es war unmöglich für ihn, sich zu wehren, und so schob er sich näher auf die alte Frau zu, die sehr zufrieden war.
»Ja, das ist gut«, flüsterte sie, bevor sie den rechten Zeigefinger in die Öffnung schob und die Fingerspitze in die Flüssigkeit tunkte. Sie ließ sie nicht lange darin. Sehr schnell zog sie den Finger wieder hervor. Er war in einem Drittel seiner Länge blau geworden. Ein Tropfen fiel noch nach unten und landete neben dem kleinen Fass auf dem Tisch.
Danach ging alles schnell. Dennis bekam es zwar mit, aber auch nicht so flott wie sonst, sondern zeitverzögert. Er sah noch den Finger auf sich zu huschen, wollte den Kopf zur Seite drücken, doch so schnell war er leider nicht.
Der Finger berührte ihn.
Und dann ging alles noch schneller.
Er spürte das Brennen auf der Stirn, als Barbara ihm das Zeichen auf die Haut malte.
Zuerst einen Längsstrich, dann den Querstrich. Danach zog sie die Hand zurück.
Dennis brauchte kein großer Rater zu sein, um zu wissen, was da auf seine Stirn gemalt worden war. Die Alte hatte es mit einem Kreuz verziert oder beschmiert, und sie zog ihre Hand mit dem blauen Finger wieder zurück.
Dennis saß auf seinem Stuhl, ohne sich zu bewegen. Er wusste nicht, was er denken sollte. In seinem Körper kribbelte es. Er hatte das Gefühl, angefressen zu werden. Er wusste auch nicht, ob es Angst war, die ihn erfasst hatte, oder einfach nur Staunen, gemischt mit einem gewissen Entsetzen.
Es war eigentlich nicht viel passiert. Man hatte ihm nur das Kreuz auf die Stirn gemalt, aber irgendwie war es schlimm genug. Er kam sich jetzt vor wie ein Außenseiter, und auf seiner Stirn merkte er das leichte Brennen.
Sprechen konnte er nicht, obwohl ihn zahlreiche Fragen quälten. Da war alles anders geworden. Er lebte, doch er sah die Welt mit anderen Augen. So überaus klar, als hätte sich die Stärke seiner Brille verändert. Und er konzentrierte sich auf die alten Frauen, die ihm nicht mehr so schlimm vorkamen.
Barbara beugte sich nach vorn und ihm zu. Er konnte einfach nicht an ihrem Gesicht vorbeischauen, und in seine Züge trat das große Staunen, denn das Gesicht kam ihm nicht mehr so vor wie sonst. Es war anders geworden. Jünger vielleicht. Keine Falten mehr, eine glatte Haut und helle Augen.
»Ja, Söhnchen, ja«, flüsterte Barbara ihm zu. »Das ist das große Wunder der Hexen. Nimm es hin und freu dich schon auf die kommende Nacht, mein Kleiner.«
Der Junge wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte sich in diesen Augenblicken auch nicht bewegen. Er saß auf seinem Platz, merkte sehr deutlich das Brennen auf seiner Stirn, ohne es als unangenehm einzustufen. Es war mit ihm eine Veränderung erfolgt, die er sich nicht erklären konnte.
Beide Hexen standen auf. Sie räumten den Tisch leer. Nur die Wasserflasche ließen sie zurück. Sie bewegten sich wie immer, und doch war es anders geworden. Sie schienen durch den Wagen zu schweben, und auch die Gesichter wirkten nicht mehr so alt und hässlich.
Sie gingen zur Tür. Die Erste verschwand nach draußen. Ein Schwall kalter Luft drang in den Wagen.
Barbara blieb noch einen Moment an der offenen Tür stehen. Mit einer nahezu graziösen Bewegung hob sie die Hand und winkte dem Zurückgebliebenen zu.
»Alles wird gut, Söhnchen...«
***
Wir waren in München!
Das Hotel lag an der Maximilianstraße, einer dieser Prachtboulevards Europas. Ein altes Haus mit Flair und Geschichte, aber mit modernstem Komfort.
Wer hier einkaufte, der musste schon einen dicken Geldbeutel mitbringen, denn an beiden
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