Hexen-Horror
beschäftigt hatte, traute sich Dennis, den rechten Arm zu heben, um nach dem Kreuz zu fühlen. In der Erinnerung war es ihm aufgemalt worden. Das traf auch zu, aber es war noch etwas hinzugekommen.
Er konnte das Kreuz ertasten. Es war nicht nur auf seine Haut aufgemalt worden. Es hatte sich eingebrannt oder eingeätzt. Die Umrisse waren deutlich zu spüren, und er fuhr mit der Kuppe des Zeigefinger über die Ränder hinweg.
Ein Brandmal!, schoss es ihm durch den Kopf. Das ist wirklich ein Brandmal. Die alten Frauen haben mich gezeichnet. Ich kann ihnen nicht entkommen. Sie haben mich in ihren Kreis aufgenommen. Ich... ich... bin ihnen ausgeliefert.
Genau jetzt hätte er Angst haben müssen. Anfängen zu zittern, zu schreien, zu weinen oder wie auch immer.
Doch seltsam, diese Gefühlsaufwallung überkam ihn nicht. Er nahm das neue Zeichen hin, ohne sich darüber aufzuregen. Er tastete es mit seinem Finger ab. Er fühlte an den Rändern. Er schaute auch hin, ob sich dort Blut abmalte, doch auch das war nicht der Fall. Obwohl das Zeichen in seine Haut hineingeritzt worden war, war kein Blut an den Rändern ausgetreten.
Dennis Hirmer hob jetzt beide Hände an und drückte die Innenseiten gegen die Wangen. Er quetschte sein Gesicht etwas zusammen und wusste nicht, was er denken sollte.
In seinem Kopf hatten sich zahlreiche Gedanken versammelt, die jedoch keine Reihenfolge bildeten. Bei ihm lief alles durcheinander. Hätte ihn jemand danach gefragt, wer er war, dann wäre es ihm nicht möglich gewesen, dem Menschen eine Antwort zu geben.
Ich bin noch immer Dennis Hirmer. Ich bin jemand, der lebt. Ich bin auch ein Gefangener. Ich gehöre jetzt zu ihnen. Sie haben mich gezeichnet. Ich bin ihr Gefangener. Ich bin der Hänsel aus dem Märchen. Ich werde vielleicht getötet...
Dennis drehte sich vom Spiegel weg. Es war für ihn kaum zu fassen, dass diese ungewöhnlichen Gedanken nicht für eine Panik gesorgt hatten. Besonders die letzte Vermutung hätte ihn eigentlich durchdrehen lassen müssen.
Das war nicht passiert. Er hatte es hingenommen. Er hatte sich daran gewöhnt, weil er vorbereitet worden war.
Aber auf was?
Dennis konnte sich keine genaue Auskunft geben. Er wusste nur, dass die Nacht ungemein wichtig für ihn werden würde. Denn da kam es zu einer Entscheidung...
***
Einen Fußweg bei kaltem sonnigen Winterwetter darf man sich nicht entgehen lassen. So dachten Suko und ich, als wir das Hotel verließen und unsere Sonnenbrillen aufsetzen mussten, denn eine tief stehende Wintersonne kann noch stärker blenden als die im Sommer.
Es dauerte etwas, bis wir die verkehrsreiche Straße überqueren konnten und auf der anderen Seite landeten, die ebenfalls mit teuren Geschäften bestückt war.
Suko, der den Stadtplan genau studiert hatte, bewies, was er behalten hatte. Er führte mich in eine Nebenstraße hinein, die dort endete, wo das berühmte Hofbräuhaus steht und sich noch einige andere Brauhäuser in der Nähe verteilen.
Um diese Zeit hörten wir nicht das Gröhlen der Betrunkenen. Es war keiner vor den Brauhäusern, dafür herrschte eine vorweihnachtliche Atmosphäre, die sich auch in den Auslagen der Schaufenster widerspiegelte, in all dem Tannengrün, den bunten Kugeln, den Engeln, den Hirten und anderen Figuren.
Es gab natürlich auch viel Kitsch, aber an diesem Fest wollte eben jeder verdienen, und mir war es im Prinzip auch gleichgültig.
Mir gefiel die Stadt. Ich vergaß für eine gewisse Zeit den tatsächlichen Grund unseres Hierseins, und je näher wir dem Marienplatz kamen, an den sich auch der berühmte Viktualienmarkt anschließt, umso stärker wurde der Betrieb.
Es gab zwar um diese Zeit noch keinen Menschenauflauf, aber die Besucher aus allen Teilen Deutschlands und des Auslands verteilten sich in den Gassen zwischen den Buden. Er roch nach Bratwurst, nach Vanille, nach Räucherstäben, nach Tannen, und über den Dächern der Buden breitete sich das ständige Summen der Stimmen aus.
Spielzeug, Süßigkeiten, Sterne, Engel, es war eigentlich alles vorhanden, was das Herz eines Kindes und eines jung gebliebenen Menschen höher schlagen ließ.
Wie zwei Aufpasser schauten die runden Turmkuppeln der Frauenkirche dem Treiben zu, in das wir uns nicht hineinstürzten, denn wir suchten zunächst den Informationsstand, von dem Harry Stahl mir berichtet hatte.
Er war leicht zu finden. Drei junge Frauen arbeiteten dort und gaben ihre Auskünfte in verschiedenen Sprachen.
Ich konnte mich auf
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