Hexenblut
Einführungsritual in der Scheune. Die Tote lag an einem Bach, und auch wenn die Farben verblasst waren, erkannte ich Sabden Brook wieder, die Stelle gleich neben Olwens Cottage.
»Rebecca Nurse«, sagte ich ernst und sah genauer hin. Es war ihre Haut, die meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ihre Beine wirkten zu glatt, weil die Muskeln nicht länger arbeiteten und die blassen Gliedmaßen ihre Form verloren hatten. Auf dem nächsten Foto war eine Nahaufnahme ihres Gesichts zu sehen, das zwar leblos war, dennoch konnte man ihr deutlich ihre Schönheit, ihre Unschuld und ihre Jugend ansehen.
Joe legte ein weiteres Foto hin, woraufhin ich ihn fragend ansah.
»Mary Lacey«, erklärte er. »Die junge Frau, die in Preston ermordet wurde.«
Ich betrachtete die Aufnahme, während Laura mir über die Schulter schaute. Mir wurde sofort bewusst, wie grundverschieden die Morde ausgeführt worden waren. Rebecca hatte man wie einem Ritual folgend platziert, so als würde sie im Tod noch etwas symbolisieren. Mary dagegen wirkte wie ein beliebiges Mordopfer. Die Kleidung war zerrissen, dunkle Flecke auf der Haut zeugten von den brutalen Schlägen, die ihr Peiniger ihr zugefügt hatte.
Ich seufzte, brachte aber keinen Ton heraus.
Joe legte das letzte Foto hin. »Das ist das Schlimmste von allen.«
Ich verzog den Mund und wandte mich ab, während Laura erschrocken nach Luft schnappte. Nach ein paar Sekunden wusste ich, ich musste hinsehen.
Das Foto zeigte einen menschlichen Körper, der als solcher kaum noch zu erkennen war. Die Tote befand sich in einer kleinen Grube, der Kopf war unnatürlich nach vorn gebeugt, die Beine waren angezogen, sodass ihre Haltung etwas von einem Fötus hatte. Der gesamte Körper war verkohlt, die Zähne waren zu einem grotesken Grinsen gebleckt, die Knochen waren durch die Haut zu sehen, was Arme und Beine spindeldürr wirken ließ. Es klebte Erde an ihrer Haut, als hätte man sie irgendwo ausgegraben.
Ich sah Joe an.
»Susannah Martin«, sagte er. »So wurde sie in einem kleinen Hain nahe Skipton gefunden.«
Laura nahm das Foto an sich. »Das wirkt anders als die beiden vorangegangenen«, erklärte sie. »Die hat man so liegen lassen, während Susannah verbrannt und vergraben wurde, nicht wahr?«
»Jeder dieser Morde ist anders abgelaufen«, erwiderte Joe. »Wenn sie wirklich durch diese Hexen-Geschichte miteinander verbunden sind, dann ist das der Grund dafür, weshalb wir keinen Zusammenhang entdeckt hatten. Es sieht auf den ersten Blick aus, als wären das drei voneinander unabhängige Morde, jeder nach einem anderen Schema, die erst mal zurückgestellt wurden, weil dringendere Fälle Vorrang hatten.«
»Dann wurde Susannah verbrannt, um Spuren zu verwischen und um die Forensiker zu frustrieren?«, fragte ich.
»Nein«, entgegnete Joe kopfschüttelnd. »Susannah Martin lebte noch, als man sie anzündete.«
Schaudernd wandte ich mich ab, da ich das Foto nicht länger ansehen wollte, um mir nicht vorstellen zu müssen, was sie durchgemacht haben musste.
»Woher wissen wir das?«, fragte Laura in kühlem, sachlichen Ton.
»Weil es eine Gewebereaktion gab«, antwortete Joe, und nachdem er meine ratlose Miene bemerkt hatte, ergänzte er: »Wenn ein lebender Körper solcher Hitze ausgesetzt wird, dann reagiert das Gewebe, weil es noch lebt. Bei einem Toten sind auch diese Gewebezellen tot und verbrennen einfach.« Er atmete tief durch. »Ich hatte bereits den Autopsiebericht gelesen. Keine angenehme Lektüre. Bei hohen Temperaturen kann das Gewebe aufreißen, und das kann dann wie Platzwunden aussehen. Der Rechtsmediziner hat diese Stellen untersucht und herausgefunden, dass sie noch gelebt hat, als sie angezündet wurde.«
Ich zwang mich, die Fotos wieder anzusehen, und schüttelte den Kopf. »Dieser kranke Mistkerl«, flüsterte ich.
»Da wäre noch was«, fuhr Joe fort, »allerdings passt das nicht zu Ihrer Theorie.«
Ich drehte mich zu ihm um. »Was denn?«
»Rebecca Nurse. Die Frau an dem Bach. Sie war tatsächlich das Opfer eines Serienmörders, aber der Mord hatte nichts mit Hexen und Hexenwesen zu tun.« Als ich ihn entsetzt ansah, ergänzte er: »Wir wissen, wer sie umgebracht hat.«
68
J oe bückte sich und griff nach einem Karton, der fast bis zum Rand mit Akten und anderem Papierkram vollgepackt war. Ich sah Fotos, Post-its, Karten, Zeichnungen, gebundene Berichte.
»Wie Sie sehen können«, ächzte er, als er den Karton auf den Tisch stellte, »habe ich ein paar
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