Hexenerbe
kannte, die Straße entlanggerannt. Er wedelte wild mit den Armen über dem Kopf und schrie vor Angst. Als er Alonzo erreichte, warf er sich dem Mann an den Hals und brüllte: »Sie müssen mir helfen! Meine Tochter! Wir brauchen Hilfe!«
Da begriff Holly, dass Michael Deveraux es ihnen hier sehr, sehr schwer machen würde ... Vor allem würde es ihnen so gut wie unmöglich sein, die Stadt bald zu verlassen.
Die Wasser der Elliott Bay wogten und schäumten, als sich Ungeheuer daraus erhoben. Riesenkraken, ganze Schulen großer, gieriger Raubfische und noch mehr von diesen gewaltigen Monstern, die Eddie in Stücke gerissen hatten, tauchten aus dem aufgewühlten Meer auf. Hubschrauber mit Fernsehteams und Boote der Küstenwache beobachteten das Gebiet mit Suchscheinwerfern. Die Leute konnten nicht glauben, was sie da sahen.
Holly stand neben Jer auf einer Klippe und beobachtete den Albtraum, der sich da unten entwickelte. Nichts auf der Welt wünschte sie sich so sehr, wie sich an ihn lehnen und seine Kraft spüren zu können. Doch er hielt Distanz zu ihr, und sie musste ganz allein mit ihrer Furcht fertig werden. Sie erinnerte sich daran, dass sie zuletzt als Kommandantin einer Geisterarmee an diesem Strand gestanden hatte. Doch jetzt war sie leer, ausgelaugt, und fand in ihrem Innern nichts mehr, womit sie irgendetwas befehligen könnte. Und Isabeau war nicht bei ihr.
Sie blickte zu Jer auf, der eine Skimaske trug, und fragte: »Ist Jean bei dir?«
Wortlos schüttelte er den Kopf. Sein Blick war stumpf und düster, und Holly glaubte, so etwas wie Scham darin zu erkennen. Immerhin war sein Vater für alles verantwortlich, was um sie herum vorging.
»Ich weiß nicht, warum Jean jetzt nicht hier ist«, antwortete er schließlich. »Die Deveraux lieben diese Art von Irrsinn.«
»Die Cahors auch«, sagte sie kläglich.
Er griff nach ihrer Hand - sie sah den Ansatz der Geste ganz deutlich, doch dann zog er seine Hand zurück. Sie standen Seite an Seite und hätten doch nicht weiter voneinander entfernt sein können.
Er sagte: »Es tut mir leid, Holly. Dass mein Vater ein solcher Mensch ist. Dass ich ...«
»Bist du nicht«, unterbrach sie ihn und legte ihm eine Hand auf den Arm. Obwohl er einen dicken schwarzen Pulli trug, wich er leicht zurück, als könnte sie ertasten, wie grauenhaft er aussah. »Jer, du bist gut.«
»Bin ich nicht.« Sie sah den Schmerz in seinen Augen. Das war alles, was sie von seinem Gesicht sehen konnte. Sie erkannte, welch ein Wunder es war, dass ihm die Augen nicht ausgebrannt worden waren. »Und«, fuhr er gedehnt fort, »du auch nicht. Nicht wahr, Holly? Du hast einen hohen Preis dafür bezahlt, deine Leute am Leben zu erhalten.«
Sie sank in sich zusammen. »Ja«, gestand sie. »Allerdings. Merkt man mir das an, Jer? Siehst du es mir an?«
»Ich kann es spüren. Da ist eine Kälte an dir, die früher nicht da war.«
Nun war sie es, die um Verzeihung bat. »Es tut mir leid.«
»Mir nicht.« Er zögerte kurz und fügte dann hinzu: »Du bist nicht mehr so unantastbar, so unschuldig. Vorher kam es mir so vor, als wärst du für mich unerreichbar.«
»Aber jetzt nicht mehr?«, fragte sie heiser.
Er schüttelte stumm den Kopf.
Das gab ihr zu denken. Ich frage mich, ob Isabeau mich absichtlich so beeinflusst hat, dass ich einen Teil meiner Seele verliere, überlegte sie, weil sie schon einen Teil der ihren verloren hat. Ihren Mann zu ermorden muss sie ein großes Stück ihrer Seele gekostet haben. Aber sie hatte schon so viel Böses getan. Mord war für sie und ihre Mutter ganz alltäglich.
»Du weißt doch, warum mein Vater das tut, oder nicht?«, fragte Jer.
»Weil er ein übler Dreckskerl ist?«, entgegnete sie.
»Er will dich damit ablenken. Dich hier festhalten.«
Ihr stockte der Atem. »Mich von San Francisco fernhalten?«
»Ja«, sagte er. »Von Cecile, Dan und deinem Onkel.« Er schüttelte den Kopf über das beginnende Massaker, das sich unter ihnen abspielte, und blickte dann wieder zu ihr auf. »Teile und herrsche. Das ist ein altes Spielchen der Deveraux.«
»Ich muss da hin«, erkannte sie.
»Ein paar von uns sollten nach San Francisco reisen. Und ein paar sollten hierbleiben«, erklärte er. »Er wird den Einsatz noch erhöhen, und wenn er ganz Seattle zerstören muss, um sich einen Vorteil zu verschaffen.«
Holly schnappte nach Luft. »Ist er dazu in der Lage?«
Unter der Skimaske schürzte Jer die Lippen. »Oh ja«, erklärte er ernst. »Das ist er
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