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Hexenerbe

Hexenerbe

Titel: Hexenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Debbie Viguié , Nancy Holder
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Frustration hatte er an Claire ausgelassen. Sie hatte lernen müssen, sich damenhaft zu benehmen, was bedeutete, stets bescheiden und unterwürfig zu sein. Sie war tatsächlich schon ein ganzes Jahr lang mit Peter verheiratet gewesen, ehe sie es zum ersten Mal wagte, ihm fest in die Augen zu sehen.
    Peter war Handelsvertreter. Die meisten Cathers übten diesen Beruf aus, solange sich irgendjemand erinnern konnte. Sie waren alle geschickte Verkäufer und sehr überzeugend, doch keiner war derart gewandt und erfolgreich wie ihr Peter.
    Dennoch war er ein sanfter, liebevoller Mann. An dem Tag, an dem Ginny zur Welt gekommen war, hatte er ihr geschworen, dass er ihre Tochter anders erziehen würde, als Claire von ihrem Vater erzogen worden war. Und dieses Versprechen hatte er gehalten. Er sagte der kleinen Ginny stets, dass Frauen den Männern ebenbürtig waren. Obwohl sie noch so klein war, nahm er sie überallhin mit. Sie durfte ihn sogar auf Geschäftsreisen begleiten wie die, von der sie nun bald zurückkehren würden.
    Claire drückte die Hand auf ihren Bauch. Sie hatte eine schöne Überraschung für Peter, wenn er heute Abend nach Hause kam. Sie lächelte und betete im Stillen darum, dass Gott ihr einen Sohn schenken würde. Die Hebamme hatte ihr Kräuter gegeben, die sie unter ihr Bett legen sollte, damit sie einen Jungen bekam. Claire hatte zwar behauptet, sie hielte nichts von solchem Aberglauben, aber die Kräuter hatte sie trotzdem unter ihr Bett gelegt, weil sie sich so sehnlich einen Sohn wünschte. So Gott will, werden wir bald einen bekommen.
    Die Schleusen des Himmels öffneten sich, und es begann wieder heftig zu regnen. Claire war eben damit fertig geworden, den Schmutz und das stehende Wasser von der Veranda zu fegen, und eilte zurück ins Haus. Sie legte gegen die klamme, kühle Luft ein wenig Holz nach. Die Straße stand schon unter Wasser, was in Johnstown jedes Jahr vorkam.
    Überall brachten die Kaufleute ihre Waren ins obere Stockwerk. Männer und Frauen schleppten in ihren Häusern Möbel und Vorräte in den ersten Stock. Claire hatte bereits am Vormittag alles nach oben geräumt, was sie brauchen würden.
    Sie blickte wieder in den strömenden Regen hinaus, der auf die Straße prasselte, und hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht, das spürte sie, als liege eine seltsame Energie in der Luft. Sie schüttelte das bange Gefühl mit einem Schulterzucken ab und betete flüsternd um Schutz für Peter und ihr kleines Mädchen. Dann trat sie wieder hinaus unter ihr Vordach. Ob sie die beiden wirklich noch heute Abend wiedersehen würde, oder ob sie irgendwo unterwegs haltgemacht und Schutz gesucht hatten?
    Da rannten zwei junge Männer die Straße entlang und brüllten: »Der Damm bricht! Der Damm bricht!«
    Der Größere von den beiden stieß mit dem Hufschmied zusammen, der abwehrend die Hände hob und sagte: »Das haben wir schon oft gehört, mein Junge!«
    »Aber es ist wahr, es stimmt wirklich!«, beharrte der Kleinere. Dann rannten sie weiter und brüllten aus voller Kehle: »Der Damm bricht!«
    »Sind wohl nicht von hier«, bemerkte der Schmied, an Claire gewandt. »Verrückte Burschen.«
    Sie nickte vage, ohne ihm richtig zuzuhören. Ihre Ohren lauschten einem anderen Geräusch: einem seltsamen, fernen Brüllen, das klang wie...
    … wie was? Der Ozean?
    Dann sah sie eine Wasserwand den Hügel herabrasen. Sie war so gewaltig, dass Claire es zuerst gar nicht begreifen konnte. Eine solche Flut war für sie unvorstellbar, und so etwas wie die mächtigen, schäumenden Wassermassen, die Bäume niedermähten wie Gänseblümchen, hatte sie noch nie im Leben gesehen. Einen Moment lang ergab der Anblick für sie gar keinen Sinn. Sie stand in ihrem Alltagskleid aus Baumwolle da und starrte zum Hügel hinüber. »Oh Gott!«, stieß sie schließlich hervor und rannte los.
    Sie hetzte an Häusern vorbei, in denen Familien sich hastig in den ersten Stock flüchteten. Ein Baum schoss den Graben neben der Straße entlang und hüpfte auf einem Wasserschwall auf und ab. Sie hörte die Flutwelle hinter sich. Direkt vor ihr stand die Tür eines Hauses weit offen. Sie lief darauf zu, ohne so recht zu wissen, warum eigentlich. In ihrer Panik konnte sie nicht mehr klar denken.
    Hinter sich hörte sie Schreie, tosenden Donner, und dann ...
    »Gütiger Gott, nein!«, schrie Peter Cathers.
    Er stand am Rand des steilen Abhangs und musste die Zerstörung Johnstowns mit ansehen. Er schwankte vor

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