Hexenfluch: Roman (German Edition)
Augen zu verlieren, um auch seine anderen Sinne zu gebrauchen.
Als Aarons Schritte endgültig verhallt waren, verließ Kristen sein Versteck und wechselte in die normale Welt zurück. Stimmengewirr, Licht, Wärme und Gerüche schlugen über ihm zusammen wie eine gigantische Brandungswoge. Er konnte gerade noch verhindern, dass eine zierliche Japanerin mit einer Kamera in ihn hineinlief, beantwortete ihren erschrockenen Blick mit einem lächelnden »Special Effects, wir drehen einen Film«, bevor er in die Menge eintauchte.
Sein Mercedes – oder besser, dessen genaues Duplikat – stand zwei Straßen weiter. Er hatte sich den hundert Prozent identischen Wagen gekauft, um Aaron auch diese Chance zu nehmen: ihn am Ende mit einem Peilsender oder irgendwelchem anderen modernen Schnickschnack zu verfolgen. Der Verkäufer hatte nicht schlecht gestaunt, als er das Geld bar hingeblättert hatte.
Nach einem schnellen Blick auf seine Uhr beschleunigte er seine Schritte. Halb sechs. Um sechs war er mit Ella verabredet …
24
Die Tüte mit den Einkäufen im Arm, drückte Ella rücklings die Haustür ins Schloss, schaltete mit dem Ellbogen das Deckenlicht an und ging in die Küche. Nur um festzustellen, dass Sushi weder hier noch an der Hintertür auf sie wartete. Als auch ihr Rufen unbeantwortet blieb, runzelte sie die Stirn. Seltsam. Normalerweise war ihre Katze da, wenn sie nach Hause kam, und wollte ihr Futter. Oder zumindest eine Runde Streicheleinheiten. Ob ihr etwas zugestoßen war? Niemand hier in der Nachbarschaft hatte etwas gegen Katzen. Im Gegenteil. Nachdem bekannt geworden war, dass sie im Krankenhaus lag, hatten gleich drei Nachbarn Sushi gefüttert. Unabhängig voneinander. Trotzdem blieb ein mulmiges Gefühl, als sie sich schließlich wieder ihren Einkäufen zuwandte.
Sie fischte ihr Handy aus der Tüte und machte sich daran, die Sachen wegzuräumen. Die ganze Fahrt vom Supermarkt bis nach Hause hatte sie mit Christian telefoniert. Dem ein Meeting zwischen ihre Verabredung heute Abend gekommen war. Offenbar hatte er den ganzen Vor- und Nachmittag in irgendwelchen Sitzungen verbracht, und dann hatten noch ein paar Geschäftspartner ein Treffen anberaumt, das voraussichtlich bis spät in die Nacht dauern würde. Und an dem er teilnehmen musste.
Er hatte müde geklungen.
Und frustriert.
Sie stellte die Schale mit ihren Lieblingsantipasti in den Kühlschrank. Nach diesem ersten Kuss hatte er sich zwei Tage nicht bei ihr gemeldet, und sie hatte befürchtet, er könnte sich wieder … zurückziehen.
Ein Irrtum.
Sie hatte sich schon damit abgefunden gehabt, allein zu dem Konzert zu gehen oder die Karten zu verschenken. Doch an diesem Morgen hatte er ihr eine SMS geschickt:
Hole dich um 18.00 Uhr ab!Freue mich auf dich!Christian In diesem Moment hatte sie von einer Sekunde zur nächsten einfach nur Herzklopfen gehabt.
Und seitdem … Etwas in seinen Augen schien sich jedes Mal zu verändern, wenn er sie ansah, weicher zu werden, wärmer. Seine Berührungen … gaben ihr das Gefühl, etwas unendlich Kostbares zu sein. Manchmal ergriff er völlig überraschend ihre Hand und hob sie zärtlich an seine Lippen. Oder hielt sie einfach nur in seiner. Selbst sein Lachen schien sich verändert zu haben. Wenn er sie ohne Vorwarnung in die Arme nahm, sie mit dem Rücken gegen seine Brust zog, sie so hielt, ihr einen Kuss auf den Hals, die empfindliche Stelle unter ihrem Ohr hauchte … es fühlte sich unendlich gut an. – Allerdings weigerte er sich nach wie vor, sie zu diesem Wohltätigkeitsempfang zu begleiten. Für den sie noch immer etwas zum Anziehen brauchte.
Ihr Blick ging für einen Moment aus dem Fenster über dem Spülstein. Überrascht hielt sie inne. Drüben, im Haus der alten Mrs. Lindberg, brannte Licht. Gab es einen neuen Besitzer? Oder zumindest einen Mieter? Als sie heute Morgen zur Arbeit gefahren war, war ihr ein kleiner Möbelwagen entgegengekommen …
Die junge Frau stand so plötzlich auf der anderen Seite des Fensters, als sei sie aus dem Nichts aufgetaucht. Unwillkürlich machte Ella einen Schritt rückwärts. Die Fremde winkte, gestikulierte wild zur Tür hin. Sie hatte etwas im Arm … Misstrauisch die Stirn gerunzelt, öffnete Ella ihr.
Farbfleckige Leinenhosen, ein Top, über das eine Bluse geknotet war, die der Hose Konkurrenz machte. Die Haare unter einem Tuch verborgen, das problemlos mit Bluse und Hose mithalten konnte. Ungefähr in ihrem Alter. Im Arm ein Bündel
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