Hexenfluch: Roman (German Edition)
heute, am Sonntag, hatten die entsprechenden Boutiquen geschlossen.
»Hm.« Wie zuvor wanderte J. J.s Blick an ihr auf und ab. »Dann würde ich vorschlagen, lass uns nachsehen, was dein Kleiderschrank sonst noch zu bieten hat.«
›Nicht viel.‹ Ella verbiss sich die Worte im letzten Moment.
Keine Viertelstunde später saß J. J. mitten auf Ellas Bett, eine schnurrende Sushi auf dem Schoß, und verwarf das dritte von Ellas Abendkleidern als »zu bieder«. Wie die beiden zuvor, die als »altbacken« und »zu sexy für einen Wohltätigkeitsempfang« abgelehnt worden waren, landete es auf dem Rand des Bettes. Ella zog das nächste Stück hervor: einen Hosenanzug mit weit geschnittenen Beinen.
J. J. verzog nachdenklich den Mund, legte den Kopf schief und schüttelte ihn nach einer weiteren Sekunde doch wieder. »Sehr schick, aber irgendwie doch nicht das Richtige … Irgendwelche alten Knacker könnten dich für eine Emanze halten.« Sie lehnte sich vor, spähte an Ella vorbei in den Schrank. »Zeig mir mal das da?« Sie wedelte mit der Hand zur hinteren Ecke hin.
»Das?« Ella holte das verlangte Kleid hervor. »Das ist uralt!«
»Das«, J. J. schob Sushi von ihrem Schoß und kroch auf eine Art von Ellas Bett herunter, die sie unwillkürlich an eine sehr große Katze erinnerte, »Süße, das ist genial.« Sie hob den Rock an, ließ den Stoff durch die Finger gleiten. »Absolut genial. – Anziehen! Zeig mal, wie es an dir aussieht.«
Ella hob eine Braue, nahm das Kleid aber vom Bügel, öffnete den Reißverschluss und zog es über. Die Hände in die Hüften gestemmt, ging J. J. um sie herum, zupfte ein paar Mal daran – und blieb schließlich unübersehbar zufrieden wieder vor ihr stehen. »Ich sag’s noch mal: Absolut genial. Damit, Süße, lässt sich arbeiten.«
»Arbeiten?« Ella warf einen zweifelnden Blick in den Spiegel. Sie hatte dieses Kleid irgendwann mal aus einem Das-muss-ich-haben-Flash heraus gekauft. Und seitdem noch nie getragen. Weil sie zu Hause plötzlich das Gefühl gehabt hatte, es sei doch ein Stück zu eng. Sie hatte es damals einfach nicht geschafft, es zurückzubringen.
»Arbeiten.« Entschieden vertrat J. J. ihr die Sicht, drehte sie sogar um, dass sie mit dem Rücken zum Spiegel stand. »Vertrau mir. Dein Freund wird Augen machen.«
»Wird er nicht. Ich gehe allein.« Soweit man allein gehen konnte, wenn man mit Kollegen an einem Tisch saß. Trotzdem war ihr klar, dass sie enttäuscht klang. Auch wenn sie das eigentlich nicht wollte.
»Nicht?« Auf J. J.s Stirn erschien eine unwillige Falte, während sie weiter an dem Kleid und Ella herumzupfte. »Lass mich raten: Er muss mal wieder arbeiten.« Wenn es nach J. J. ging, sahen sie und Christian sich viel zu selten. Geschäftsessen. Meetings bis tief in die Nacht. Telefonkonferenzen … Diesmal musste er für einen Tag nach Europa. Ein Kopfschütteln, ein Schnauben. »Männer haben manchmal seltsame Prioritäten. – Ich muss den Kerl unbedingt endlich einmal kennenlernen.«
Das mochte der Himmel verhindern. »Warum? Willst du ihm sagen, was du von seinen ›Prioritäten‹ hältst?«
»Genau.« J. J. raffte den Rock, ließ ihn wieder fallen, sah sich um. »Hast du irgendwo Nähzeug? Ich brauche ein paar Stecknadeln.«
»Im Schrank. Das Weidenkörbchen. – Was hast du vor?« Ella beschlich ein ungutes Gefühl.
J. J.s Lächeln war zuckersüß und unschuldig. »Vertrau mir.«
Mit einem Seufzen versuchte Ella genau das zu tun. Was spätestens zu dem Zeitpunkt ziemlich schwer wurde, als J. J. zu einer Schere griff und den einen Ärmel heraustrennte. Als Antwort auf ihren Protest hörte sie nur ein weiteres: »Vertrau mir, ich weiß, was ich tue.«
Schließlich drehte J. J. sie wieder zum Spiegel um. Ella schluckte. Sie musste abgenommen haben. Das Kleid passte perfekt. Hochgeschlossen mit einem schmalen, enganliegenden Kragen, kein Dekolleté. Dafür aber einen dreieckigen Rückenausschnitt, der bis über die Schulterblätter ging. Und einen Schlitz bis knapp übers Knie … der jetzt ein Stückchen höher reichte, weil J. J. den Stoff direkt darüber ganz leicht gerafft hatte. Trotzdem fiel es noch bis fast auf den Boden. Irgendwo im Schrank hatte sie die passenden hochhackigen Schuhe. Der Stoff schimmerte leicht. Irgendein Seidengemisch. Das Bordeauxrot war dunkel genug, um nicht aufdringlich zu wirken. Der lange Ärmel verdeckte die Narben an ihrem Arm, während der fehlende andere gekonnt ihre Schulter
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