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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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der Temperamente. Ohne sie ist die Lehre der Säfte nutzlos«, sagte Raphael. »Ihr habt Euch nicht einmal erkundigt, ob Julie phlegmatischen, sanguinischen, cholerischen oder melancholischen Temperamentes ist. Wir warten bis Sonnenaufgang.«
    Dubocq war anderer Meinung. »Wenn ich jetzt die Behandlung unterbreche, stirbt sie binnen zweier Tage.«
    Raphael ließ sich nicht beirren. »Wir warten.«
    Der gebrechliche alte Mann stand ächzend auf. »Mein Junge«, sagte er in väterlichem Ton, »ich habe in Bologna, Salerno und Paris studiert. Du hast bestimmt von all diesen Städten noch nie ein Wort gehört. Die Namen Galen, Hippokrates, Al-Quarashi und Faragut werden dir auch nichts sagen. Also leg dich zu deinen Freunden in den Keller und überlass das Heilen mir.«
    Das war zu viel für Raphael. Was bildete sich dieser Mann ein? Fürwahr, er hatte nicht Medizin studiert, wohl aber hatte er die Werke all dieser Männer aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt und unzählige Kopien verfasst. Er kannte deren Theorien mindestens so gut wie Dubocq. »Galen«, sagte er langsam, und Dubocq sah auf, »ist vor der Pest geflohen. Er wusste nichts über diese Krankheit. Sein Wissen über die menschliche Anatomie war lückenhaft, denn er hat nur Affen seziert. Ein höchst unglaubwürdiger Vertreter der Pestkunde, Maître.«
    Dubocq starrte Raphael mit offenem Mund an. Er keuchte auf. Dieser Bauernlümmel! Was bildete der sich ein? »Du sprichst über diesen gelehrten Mann wie über einen Hund«, sagte er. »Du hast gar keine Vorstellung von den Dingen. Du weißt nichts über die res naturales und res non naturales …«
    »Ihr habt die res morales vergessen«, wandte Raphael ein.
    Dubocq rang nach Luft. »Per regimen sanitatis conservatio!«
    »Wie wollt Ihr unserer Freundin durch Fasten Heilung bringen, Maître? Darum müssen wir uns jetzt wohl nicht kümmern.« Raphael begann, an diesem Spiel Gefallen zu finden. Er wusste, dass Dubocq Luna in keiner Weise helfen konnte. Aber er wollte Zeit gewinnen. Damit Luna sich ein wenig von der Behandlung des Arztes erholte und die Freunde im Keller schlafen konnten.
    Dubocqs Wangen röteten sich. Zornesfalten traten auf seine Stirn. »Per curationem sanatio, id est aegritudinum!«
    Raphael lachte. »Wohl sind besondere Maßnahmen zur Heilung notwendig, aber nicht die Euren.«
    »Willst du sagen, dass es mir nicht um das Wohl deiner Freundin zu tun ist?«
    »Ebendas.«
    »Die Pflege der Kranken steht über allem und soll ihnen helfen.«
    Raphael schüttelte den Kopf. »Ihr habt Eure Lektion nicht gelernt«, sagte er spöttisch lächelnd. »Die Regel besagt: damit ihnen – als wäre es Christus selbst – geholfen werde. Mir scheint, Ihr habt dies vergessen. Handhaben tut Ihr es ohnehin nicht. Oder würdet Ihr Gottes Sohn schröpfen und zur Ader lassen?«
    Dubocq ging ein paar Schritte auf Raphael zu. Argwöhnisch sah er ihn an. »Wer in drei Teufels Namen bist du?«
    Schlagartig begriff Raphael, dass er einen Fehler gemacht hatte. Seine Eitelkeit konnte ihn und seine Freunde in eine tödliche Gefahr bringen. Er schwitzte. »Nur ein Bauer, Maître.«
    Dubocq schüttelte den Kopf. »Nein, du bist kein Bauer«, flüsterte er. »Ein Bauer hat nicht so viel Geld. Ein Bauer kennt nicht die Werke Galens, die Lehre der Säfte oder die Regeln des heiligen Benedikt. Also, was bist du dann?«
    Der Schweiß lief Raphael übers Gesicht. Sie mussten fort. Weit fort. »Ich denke, wir bezahlen Euch und verlassen unverzüglich Euer Haus, Maître. Habt Dank für Eure Hilfe.« Er wollte sich abwenden.
    Doch Dubocq hielt ihn fest. »Warum hast du bei dieser Gluthitze deine Kapuze über den Kopf gezogen?« Und ehe Raphael reagieren konnte, riss ihm Dubocq die Gugel herunter. »Ha! Dachte ich es mir doch! Nur ein Mönch oder ein Medicus kann dein Wissen besitzen.«
    Raphael stieß Dubocq zu Boden. »Amicus!«, rief er so laut er konnte.
    Doch der stand schon neben ihm. »Ich habe alles mit angehört. Brechen wir auf. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir das Kind noch retten wollen.«
    »Ich wecke Pierre und Jeanne«, sagte Raphael. »Behaltet ihn im Auge.«
    »Keine Sorge.« Amicus zückte ein Messer und hielt es dem zurückweichenden Dubocq an die Kehle.
    So schnell er konnte, lief Raphael in den Keller und weckte die beiden.
    Als sie nach oben kamen, hatte Amicus den Arzt geknebelt und an einen Fuß des Schranks gefesselt. »Bis morgen früh kann er sich befreien. Das gibt uns einen

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