Hexengericht
noch, doch dann begann er zu erzählen. Hier und da schmückte er das Ereignis etwas aus, erfand auch die eine oder andere Kleinigkeit hinzu, unterstrich seine Worte mit ausladenden Gesten und protzte mit allerlei medizinischen Termini.
»Du sagst, sie stammen nicht aus der Gegend?«, fragte Thadée fassungslos.
»Nie und nimmer«, antwortete Dubocq. »Ich kenne die Leute hier. Sie waren fremd und ohne jede Manieren. Gaben falsche Namen an. Einer von ihnen war ein als Bauer getarnter Mönch – dem ich natürlich auf die Schliche kam.«
Thadée riss die Augen auf. »Ein Mönch, der sich als Bauer ausgibt?«
»Sagte ich doch.«
»Vielleicht ist eine Belohnung auf das Gesindel ausgesetzt«, dachte Thadée laut.
Belohnung! Dubocq wurde hellhörig. Kein dummer Gedanke. Ein Wunder, dass ein simpler Kerl wie Thadée darauf gekommen war. Dennoch … die Angst um sein Leben war größer als die Gier. »Nein«, sagte er. »Sie sind zu weit fort, als dass Soldaten sie noch greifen könnten.«
»Wie auch immer«, sagte Thadée und stand auf. Seine Frau brachte gerade die Trinkschläuche. »Dort vorn will jemand zahlen. Hast du noch einen Wunsch, Georges?«
Dubocq hob prüfend die Schläuche an. Sie wogen schwer in seinen Händen. Er spürte, wie der Wein hin und her schaukelte. »Nein, geh nur.«
Er hörte, wie Thadée einen Gast in seinem Rücken hofierte. Der Mann antwortete mit einer tiefen, dunklen Stimme, die Dubocq frösteln ließ. Augenblicke später schwebte ein schwarzer Schemen an ihm vorbei, und Dubocq dachte kurz, es wäre ein Mönch. Er rieb sich die Augen. Als er sie wieder öffnete, war die Erscheinung fort. Er rief Thadée, zahlte und verließ die Schänke, um hinunter zum Bach zu gehen, wo er Kröten und Kräuter für seinen selbst gebrauten Theriak sammeln wollte.
Er kam jedoch nicht weit. Er erreichte nicht einmal die nächste Straße. Jemand packte ihn von hinten am Genick, sodass er erschrocken aufschrie. Die Schläuche wurden aus seinen Händen geschleudert und zerplatzten irgendwo hinter ihm auf dem Pflaster. Er wurde in eine menschenleere Seitengasse gezerrt und in den Gossendreck gestoßen. Sand und Staub drangen ihm in Augen, Nase, Mund und Ohren. Er hustet und nieste und fürchtete, zu ersticken.
Vor ihm stand eine große, schwarze Gestalt. Jetzt ist es aus, dachte Dubocq. Der Tod kam, um ihn zu holen. Im Geiste sah er eine Sanduhr, groß wie ein Berg, in der das letzte Sandkorn hinabschwebte. Clausula .
Dubocq meinte, die düstere Fratze grinsen zu sehen. »Bist … bist du der Tod?«, stammelte er.
Da lachte das Gespenst. Es lachte und lachte. Plötzlich verstummte das hämische Gelächter. »Nein«, sagte die Gestalt. »Viel schlimmer.«
Dubocq erschrak. »Gütiger Gott«, flüsterte er.
Wieder lachte diese Ausgeburt aller Höllenwelten. »Sieh mich an!«, forderte sie. Dabei verdeckte sie mit ihrem langen Körper die Sonne.
Der Arzt blinzelte. Aus den Konturen schälten sich Einzelheiten heraus. Ein weißer Habit, darüber ein schwarzes Skapulier. Ein Dominikaner, schoss es Dubocq durch den Kopf. Nun, mit einem Mönch würde er schon fertig werden! Er drehte sich auf die Seite, um aufzustehen, aber der Mönch gab ihm einen kräftigen Tritt, und er fiel wieder in den Schmutz. Dubocq schrie auf. Wut stieg in ihm hoch. »Was fällt dir ein?«, bellte er.
»Zügele deine Zunge, alter Mann«, sagte der Dominikaner. »Du sprichst mit der heiligen Inquisition.«
Jetzt wünschte sich Dubocq, es wäre doch der Tod gewesen. »Was … was wollt Ihr von mir? Ich habe mich keines Vergehens gegen die Kirche schuldig gemacht. Ihr müsst mir glauben!«
»Es geht nicht um dich«, sagte der Mönch.
»Ich verstehe nicht«, sagte Dubocq.
»Drei Männer und zwei Weiber waren bei dir letzte Nacht.« Der Mönch beugte sich zu Dubocq hinunter. »Erzähl mir von ihnen.«
Dubocq atmete erleichtert auf. Es ging dem Dominikaner nicht um ihn, sondern um diese Halsabschneider. Die Worte sprudelten aus ihm heraus wie das Wasser aus einer heiligen Quelle.
Abrupt unterbrach der Mönch Dubocqs Redeschwall. »Erzähl mir nicht den gleichen Humbug, den du dem Wirt aufgeschwatzt hast, Mann! Ich will die Wahrheit hören!«
Dubocq schluckte schwer. Es gelang ihm nicht, den riesigen Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken. Also berichtete er wahrheitsgemäß. Der Mönch hörte aufmerksam zu, ohne eine einzige Frage zu stellen. Dubocq schloss mit den Worten: »Dann banden sie mich fest und verschwanden in der
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