Hexengift
der Bauleiter, einer der früheren Besitzer vielleicht? Jedenfalls sind sie reine Dekoration, mit dem Wasserablauf haben sie gar nichts zu tun.«
»Sind sie … irgendwie magisch?«, fragte Joshua, anscheinend in dem Versuch, Marlas Faszination für die Dinger
nachzuvollziehen. »Überwachen sie die Straße, oder werden sie ab und zu lebendig oder etwas dergleichen?«
»Quatsch«, sagte Marla. »Das sind ganz normale Statuen. Ich könnte ihnen natürlich ein wenig Leben einhauchen, aber sie würden sich nicht gerade sehr geschickt bewegen und wären wahrscheinlich auch nicht länger geneigt, weiterhin nur auf meinem Dach herumzuhängen. Lassen Sie uns nach oben gehen. Meine Wohnung macht nicht viel her, aber zumindest haben wir es da ein bisschen kuscheliger.« Sie gingen durch die staubige Vorhalle zum Aufzug, Marla schob die Gittertüren beiseite und bedeutete Joshua, einzutreten. Schweigend fuhren sie hinauf in den vierten Stock, und nachdem sie den Aufzug wieder verlassen hatten, sagte Joshua: »Wissen Sie, wenn Sie nicht das unangefochtene Oberhaupt der magischen Unterwelt Felports wären, würde ich glauben, ich wäre in einem Slum.«
»Nun ja, ich führe die Leute gerne ein bisschen an der Nase herum. Außerdem, verglichen damit, wo ich aufgewachsen bin, ist das hier ein Palast. Ich habe einen Zauber, der die Kakerlaken von dem Gebäude fernhält, und einen weiteren, der für angenehme Temperaturen sorgt, das Dach ist dicht und - das Allerbeste - ich habe das ganze Haus für mich allein.« Was nicht ganz stimmte. Der vergammelte Geist eines Rentners, der hier den Tod gefunden hatte, als das Bordell noch in Betrieb gewesen war, lebte im dritten Stock, aber er manifestierte sich nur zwei- oder dreimal pro Monat. »Früher hatte ich auch Zaubersprüche, um Eindringlinge abzuwehren, aber letzten Winter wurden dadurch ein paar Straßenkinder verletzt, die hier nur ein bisschen Abenteuer spielten, deshalb habe ich mich mit den fiesen
Sprüchen auf die Türen und Fenster meiner Wohnung beschränkt. Wenn ab und zu mal ein Obdachloser unten in der Lobby übernachtet, macht mir das nichts aus.«
Marla berührte ein paar der Runen, die in den Türstock geritzt waren, und verdeckte dabei ihre Bewegungen mit ihrem Rücken - weniger, weil sie Joshua misstraute, sondern ganz einfach aus alter Geheimniskrämer-Gewohnheit. Die Runen leuchteten kurz blau auf und verblassten wieder, dann drückte Marla die Tür auf und bedeutete Joshua, ihr zu folgen. Sie zeigte ihm die Toilette, nachdem er sie danach gefragt hatte, versuchte, schnell ein bisschen aufzuräumen, ließ es aber sofort wieder bleiben, verärgert über sich selbst, weil sie es überhaupt für nötig befunden hatte, es zu versuchen.
Als Joshua wieder zu ihr ins Wohnzimmer kam, deutete sie auf den Futon, der zu einer Art Sofa zusammengerollt auf dem Boden lag. Joshua ließ sich hineinsinken, immer noch mit deutlichen Anzeichen kognitiver Dissonanz in seinem Gesicht. Marla konnte es ihm nicht verdenken - Hamil war ihr Consigliere, stand in der Hierarchie Felports deutlich unter ihr, und doch hatte er die bei weitem modernere und komfortablere Wohnung. Marla widerstand dem Drang, schnell mit einer Rechtfertigung herauszusprudeln, etwas über die magischen Vorzüge des Geheimnisvollen, Undurchschaubaren beispielsweise, aber die Wahrheit war ganz einfach, dass sie keine Lust hatte, ihr Apartment besser in Schuss zu halten. Schließlich verbrachte sie nicht gerade viel Zeit zuhause, und sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann sie hier zum letzten Mal einen Gast empfangen hatte.
»Einen Drink?«, fragte sie stattdessen in dem Versuch, die Kontrolle über die Situation wieder zu übernehmen. Wenn sie diese jetzt an Joshua abgab, könnte sie genauso gut in die Niagarafälle springen, und die Naturgesetze würden sie dann zweifellos in die Tiefe reißen. Sie ging hinüber zu ihrer Bar, die in Wahrheit nichts weiter als ein altes Pult war, das sie an einer Straßenecke abgestaubt hatte. Marla trank nur sehr selten Alkohol, aber sie hatte immer ein paar Sachen auf Lager für den Fall, dass Hamil oder Rondeau vorbeikamen.
»Brandy?«
»In Ordnung. Ich glaube, Hamil hat es schließlich eingesehen und letztes Mal eine Flasche dagelassen, damit er hier auch welchen hat.«
Joshua streckte seine Arme seitlich über die Rückenlehne des Futons aus - er saß darauf wie auf einem Thron. Marla nahm zwei leicht verstaubte Schnapsgläser aus der Vitrine, wischte sie kurz
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