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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Haut dampfte noch vom heißen Bad.
    Carlotta bückte sich und hob das Handtuch auf. Als sie sich aufrichtete, glitt ihr Blick über den drallen Hintern den Rücken aufwärts. Ein brauner Fleck eine Handbreit oberhalb der linken Gesäßhälfte zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie beugte sich darüber. Groß wie ein Hühnerei franste er an den Rändern ungleichmäßig aus. Gleichzeitig wölbte er sich leicht. Drei, vier dicke, schwarze Haar sprossen wie Borsten aus der Mitte heraus. Schon tippte Carlotta mit dem rechten Zeigefinger darauf, da fuhr die Tante herum: »Was fällt dir ein?«
    Der Zauber war gebrochen. Ertappt richtete Carlotta sich auf, schämte sich der glühenden Hitze auf ihren Wangen mindestens ebenso wie ihres ungehörigen Tuns. Den Blick ihrer blauen Augen starr zu Boden gerichtet, reichte sie der Tante das Handtuch, machte einen unsicheren Knicks und stürmte wortlos aus der Kammer.
    Sie fand ihre Mutter unter einer üppig blühenden Linde unweit eines kleinen Bachs, der dicht am Gasthaus vorbeifloss.
    »Was ist passiert?« Erstaunt schaute Magdalena auf. Sie saß an den Stamm des Baumes gelehnt auf einer windschiefen Holzbank. Eine Handvoll Hühner scharrte um sie herum auf dem kargen Boden, eine einsame Ente hatte sich unter das Federvieh gemischt. Über all dem lag eine wohltuende Ruhe. Die Mutter genoss die abendliche Abgeschiedenheit des Gartens, um ungestört den Gedanken nachzuhängen.
    »Es ist schrecklich!«, stieß Carlotta hervor und sank in ihre Arme.
    »Ist ja schon gut, mein Kind.« Sacht strich Magdalena ihr durch die klebrig verschwitzten rotblonden Locken. Für eine Weile gab sich Carlotta ganz ihren Tränen hin. Ihr schmächtiger Körper bebte. Dann hob sie den Kopf, suchte den Blick der smaragdgrünen Augen ihrer Mutter und versank darin.
    »Tante Adelaide hat … Sie ist …« Sie brachte es nicht fertig, das Furchtbare tatsächlich auszusprechen. Eine salzige Träne kullerte ihr die Wange hinab, dann noch eine und noch eine. Im Innern wurde ihr eisig. In diesem Moment wusste sie: Sie stand am Abgrund und war verloren, wenn die Mutter ihr nicht half. Noch einmal versuchte sie, sich zu erklären: »Mathias hat versucht, mich zu küssen und …«
    »Reg dich nicht auf.« Magdalena zog sie an ihre Brust. Wieder spürte sie die warme Hand auf ihrem Kopf. Einzeln fuhren die Finger durch ihr Haar, versuchten, die aufgelösten Strähnen zu ordnen. Es tat so gut, sich ihrem Trost hinzugeben. Dankbar schloss sie die Augen, versank in dem Frieden, der die Mutter umgab. Auf einmal aber stockte sie. Sie musste es ihr sagen! Nur so konnte Schlimmeres verhindert werden. Mit einer energischen Kopfdrehung befreite sie sich aus der Umarmung, richtete sich auf und rückte ein Stück von Magdalena ab.
    Noch aber brachte sie keinen Ton über die Lippen. Schweigend studierte sie das geliebte Gesicht so nah vor ihren Augen. So wenig wie der Tante sah man auch der Mutter ihr Alter an. Mittlerweile war sie gut fünfunddreißig Jahre. Die von Sommersprossen übersäte Haut war glatt und rein wie bei einer Zwanzigjährigen. Die hohen Wangenknochen unterstrichen die längliche Linie des Gesichts. Das spitze Kinn und der feine Mund mit den dünnen Lippen wirkten zerbrechlich, auch die leicht nach oben gebogene Nase wirkte nicht sonderlich kräftig. Schräg standen die grünen Augen, strahlten eine abgeklärte Besonnenheit aus. Die roten Haare fielen wie immer offen auf die Schultern.
    Noch einmal holte Carlotta tief Luft. Auf einmal wusste sie, was in den letzten Stunden mit ihr geschehen war. Die Hoffnung auf Rettung bestand einzig darin, der Mutter alles zu beichten. Nur die konnte ihr beistehen und alles zum Guten wenden. Ihr Blick wanderte in die Ferne. Mit fremder Stimme begann sie zu reden: »Mathias hat mich zum Stehlen angestiftet. Ich habe es nicht gewollt, ganz bestimmt nicht.« Hastig reihte sie die Worte aneinander, erzählte, rechtfertigte sich, erzählte weiter. Aufmerksam lauschend saß Magdalena neben ihr, legte ihr die Hand auf den Arm.
    Carlotta geriet ins Stocken. Ihre Stimme wurde leiser, versiegte schließlich ganz. Erst nach einer Weile erzählte sie weiter. »Auf einmal hat er mich gepackt und gezwungen, in eine dunkle Gasse zu gehen. Dort hat er mich festgehalten, geküsst und überall angefasst. Ich war wie verhext, konnte mich nicht rühren, habe überhaupt nicht verstanden, was los ist, weder mit ihm noch mit mir. Als ich endlich reagieren konnte, habe ich mich gewehrt, ihn

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