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Hexenjagd

Hexenjagd

Titel: Hexenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katica Fischer
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altes, fleckiges, vielfach gefaltetes Pergament. Allein seine wachen, intelligent blickenden Augen verrieten, dass er keineswegs eine entlaufene Mumie, sondern ein wirklich lebender Mensch war. Die beiden Fremden abwechselnd musternd, blieb sein Blick schließlich an Celiskas Gesicht hängen, um dann zu der Marmorfrau emporzufliegen, die die gleichen Züge zeigte. „Heilige Mutter Christi“, stieß er heiser hervor und bekreuzigte sich schnell, bevor er sich wieder der Menschenfrau zuwandte. „Es ist also endlich geschehen“, krächzte er.
    „Was?“, wollte Vincent wissen. „Wovon zum Teufel reden Sie?“
    „Wenn ich Sie zu einer Tasse Tee einlade, würden Sie mich dann besuchen?“, überging der Alte die Frage. „Bitte“, setzte er eindringlich nach. „Ich würde Sie sehr gern in meinem Haus willkommen heißen und Ihnen die ganze Geschichte erzählen. Es wäre mir eine ganz besondere Freude.“
    Das Paar tauschte einen hilflosen Blick, nicht wirklich sicher, ob es die Einladung annehmen sollte. Doch um nicht unhöflich zu erscheinen, folgte es dem Alten zu einer baufällig erscheinenden alten Holzhütte, die sich im hinteren Teil des Friedhofs an die Mauer schmiegte.
    „Man hat das Mädchen verbrannt“, erklärte der Greis, während er die Tür öffnete, um seine Gäste einzulassen. „Weil es Lord Langley, also den damaligen Lehnsherrn, verschmähte und stattdessen ins Kloster eintreten wollte, hat man es anfangs bloß für verrückt erklärt. Aber dann hat sich die Meinung der Leute sozusagen über Nacht geändert. Niemand kennt die wahren Hintergründe. Aber es hieß plötzlich allgemein, sie sei eine Hexe gewesen, weil sie allen Männern den Kopf verdreht und dann ihre Herzen gebrochen habe. In Wahrheit waren es aber nur zwei Männer, nämlich der junge Lord Langley und Master Stewart, sein Halbbruder. Beide wollten sie für sich erobern, konnten aber nichts ausrichten, weil sie sich hinter den Klostermauern versteckte. Kurz bevor sie in den Orden aufgenommen werden sollte, ist sie des Nachts verschleppt und im Kellergewölbe einer alten Ruine verbrannt worden. Am Tag darauf bemerkte ein Schafhirte, der seine Herde zufällig an der Ruine vorbeitrieb, den Gestank verbrannten Fleisches, ging nachsehen und fand sie. Das Feuer … Sie … sie hatte ihr Kruzifix immer noch um die Taille. Das Ding war trotz des Feuers noch vollkommen intakt, so wie die Kette auch, an der es hing – und das war das einzige, woran man sie erkennen konnte. Es gab keine Zeugen für die Tat – und auch keinen Schuldigen, obwohl viele Gerüchte im Umlauf waren, weil es ja auch keine öffentliche Anklage oder Verhandlung wegen Hexerei gegeben hatte. Es war ein Meuchelmord, so viel steht fest. Master Stewart war völlig außer sich, weil niemand sich drum scherte, wo ihre sterblichen Überreste bleiben sollten. Offenbar hatte selbst ihre Familie Angst, sie könnten sich versündigen, wenn sie einer gottlosen Frau die Ehre erwiesen, in geweihter Erde zu ruhen. Und weil niemand etwas tat, hat er veranlasst, dass sie hier beigesetzt wird. Er hat dafür extra einen Teil des Friedhofs kaufen müssen. Aber das machte ihm nichts, denn er hatte ja genug Geld. Man munkelte sogar, er habe mehr gehabt als sein Halbbruder, hätte sein Vermögen jedoch noch zu Lebzeiten an seine Leute verteilt, damit es nach seinem Tod nicht in die Hände der Langleys fiel. Wie auch immer, das gehört jetzt nicht hierher und ist auch gar nicht so wichtig. Um also seine Liebe zu dieser Frau für alle Zeiten zu dokumentieren, hat Master Stewart dieses Grabmal bauen lassen. Viele Jahre später sind dann auch seine sterblichen Überreste hier beigesetzt worden – auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin direkt neben ihr.“
    Der Alte betrachtete die Gesichter seiner Gäste, die stumm und sehr aufmerksam seiner Geschichte lauschten, nickte unmerklich und fuhr dann fort: „Anfangs war nur die Frauenfigur vorgesehen – sozusagen als Mahnmal für den Verantwortlichen, der es immer vor Augen haben sollte. Später hat Master Stewart die Schale hinzufügen lassen, weil sich die Kirchenmänner darüber mokierten, dass er keinen Engel, sondern eine so aufreizende Frauenfigur – sie bezeichneten sie damals als beschämend freizügig – gewählt hatte. Um ihnen aber noch über den Tod hinaus zu trotzen, ließ er verlauten, wer auch immer diese Figur entfernen lasse, entlarve sich selbst als Scharfrichter der jungen Frau, weil nur der eigentliche Mörder ein Interesse

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