Hexenjagd
daran haben könne, das Bildnis seines Opfers zu vernichten, um es nicht länger ansehen zu müssen. Schlau, nicht? Wer auch immer von da an Hand an das Grabmal gelegt hätte, hätte vor Gott und aller Welt seine Schuld eingestanden. Wenn Sie sich mit der Bibel auskennen, wissen Sie vielleicht, dass Mord eine der Todsünden ist. Also konnten die Kirchenmänner gar nichts machen, nicht wahr? Auch wenn sie noch so sehr gegen den Schandfleck des Friedhofs wetterten!
Aber Master Stewart hat nicht nur sein Herz an diese Frau verloren. Er war ihr auch mit Leib und Seele verfallen, ohne sie jemals besessen zu haben. So sagt man jedenfalls. Eins steht fest: Er hat ihr ewige Treue geschworen und diesen Eid nie gebrochen. Obwohl er ein reicher und auch hübscher Mann war, gab es für ihn nur diese eine Frau. Und die hat er bis zu seinem Tode weder vergessen noch durch eine andere ersetzen können.“ Wieder betrachtete er das stumme Paar mit unverhohlenem Interesse. „Man erzählt sich, dass sein Geist hin und wieder hier aufgetaucht ist, um sich ihr Bildnis anzusehen. Einige behaupten sogar, dass er keine Ruhe finden kann, solange sie nicht zurückkommt, um seine Seele zu befreien. Es heißt, sie müsse endlich seine Liebe erwidern und dies auch vor aller Welt eingestehen, damit er nicht mehr als Geist umherirren muss.“ Der Alte kratzte sich ausgiebig am Kopf. „Glauben Sie an solche Sachen?“ Weil seine Gäste nur sehr zögernd den Kopf schüttelten, erschien ein hintergründiges Lächeln auf seinen runzligen Lippen. „Ist auch nicht wichtig“, stellte er grinsend fest. „Gar nicht wichtig. Schließlich sind die Lebenden viel interessanter als unsere toten Weggenossen. Man soll das Leben nehmen, wie es ist, und nicht alten Märchen nachhängen. Hilft keinem weiter. Muss man sowieso immer von neuem durchmachen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wer will schon so genau wissen, wann es beginnt und wo es endet?“ „Und?“ Vincent legte die Stirn in Falten. „Warum erzählen Sie uns das alles?“
Der Alte sah von einem zum anderen und kratzte sich wieder am Kopf.
„Haben Sie die Gemälde in der Kapelle betrachtet?“, fragte er endlich. „Nein? Schade. Sie hätten sich das Porträt von Master Stewart ansehen sollen. Ich wette, Sie hätten gemeint, sich selbst darauf wiederzuerkennen, so ähnlich sind Sie ihm. Ich weiß, ich weiß“, winkte er ab, weil Vincent zu einer heftigen Erwiderung ansetzte. „Bei so vielen Menschen, die auf der Erde herumkrabbeln, gibt es immer wieder solche Ähnlichkeiten, ohne dass ein Verwandtschaftsverhältnis besteht. Aber dass ausgerechnet zwei solche Menschen zusammenfinden und dann auch noch den Weg hierher einschlagen, ist doch sehr merkwürdig, nicht wahr?“ Ein eigentümliches Kichern begleitete seine Worte. „Die Legende von Celia und Victor hat seither so manchen Dichter zu wahren Meisterleistungen inspiriert. Aber die Wahrheit … Die Wahrheit ist manchmal viel phantastischer, als man annehmen möchte, nicht wahr?“
Celia ?
Victor ?
Hexenverfolgung ?
Vincent stand wie vom Donner gerührt und meinte in einem gespenstischen Traum gefangen zu sein. Er wusste mittlerweile so gut wie alles, was sich während Celiskas „Krankheit“ in ihrem Kopf und ihren Träumen abgespielt hatte, denn sie hatte ihm fast alles erzählt. Dennoch konnte er nun nicht fassen, dass es eine mehr oder weniger logische Erklärung für ihre „Schwierigkeiten“ geben könnte, die nichts mit psychischer Instabilität zu tun hatten. Sollte er wirklich glauben, dass die Frau an seiner Seite eine Art Seelenwanderung gemacht hatte und die Verwirrung ihres Geistes damit zu erklären sei? Und er selbst? Hatte er nicht gerade erst das Gefühl gehabt, sich an Dinge und Ereignisse zu erinnern, die im Grunde genommen so lange zurücklagen, dass er sich eigentlich gar nicht hätte daran erinnern können, weil sie ihren Ursprung weit vor seiner Zeit hatten? Verrückt! Das war …
„Wer sind Sie?“, fragte Celiska den Greis mit leiser Stimme.
Es war das erste Mal, dass sie überhaupt sprach, dachte Vincent. Die ganze Zeit über hatte sie schweigend dabeigestanden und zugehört, während ihr Gesicht eine Besorgnis erregende Blässe gezeigt hatte. Jetzt allerdings breiteten sich hektische rote Flecken auf ihren Wangen aus.
„Gute Frage“, erwiderte der Alte. „Wirklich, sehr gute Frage. Wo soll ich nur beginnen?“ Eine dürre Hand erhebend, fuhr er sich mit den klauenartigen Fingern kurz über
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