Hexenjagd
in ihrer Umgebung, nur um im nächsten Moment ein bisschen verändert, aber so klar und deutlich wieder hervorzutreten, als wären sie noch einmal nachgezeichnet worden. Sie befand sich immer noch neben der Friedhofsmauer, stellte sie nach einem kurzen Rundblick verblüfft fest. Aber da war keine Hütte mehr. Und auch kein alter Mann. Da war nichts als Gras, alte, halb verfallene Grabsteine, ein kaum wahrzunehmender Erdhügel direkt vor ihren Füßen, der wohl einstmals ein Armengrab gewesen war, und ein uraltes, fast verfaultes Holzkreuz, auf welchem trotz des immensen Alters die ursprünglich eingeschnitzte Inschrift immer noch klar und deutlich zu entziffern war: Lucas Shawn, gestorben im Jahre des Herrn 1579. Doch kaum hatte sie die Buchstaben und Zahlen überflogen, da begannen sie auch schon zu verblassen, wobei auch das Holz des Kreuzes immer mehr verfiel, um am Ende völlig zu verschwinden.
Mit einem Mal fror Celiska so sehr, dass sie meinte, auf der Stelle zu einem Eiszapfen erstarren zu müssen, und drängte sich sogleich an ihren Mann, um sich von ihm ein wenig Wärme spenden zu lassen. Sie wusste, das gerade Erlebte war weder eine Sinnestäuschung noch das Produkt eines verwirrten Verstandes. Dennoch dachte sie nicht im Traum daran, darüber zu sprechen, wohl wissend, dass niemand ihr glauben würde. Selbst Vincent …
„Ich hab davon gehört“, unterbrach er ihre Gedanken, „dass es in dieser Gegend oft spuken soll. Allerdings hab ich nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet wir Opfer eines Gespenstes werden könnten.“ Sich selbst zu einem Lächeln zwingend, sah er auf seine Frau hinunter und war zutiefst dankbar dafür, dass in ihren Augen allein eine leichte Unsicherheit statt bodenlosen Schreckens zu lesen war. „Lass uns gehen“, forderte er, indem er sie noch ein wenig enger an sich zog. „Mir ist kalt. Und außerdem hab ich Hunger – und das nicht nur auf Magenfüllendes.“ Celiskas Mund mit einem kurzen, aber zärtlichen Kuss streifend, zog er sie auch schon fort. Rebekka würde sicher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er ihr von dem heutigen Tag und dem Alten erzählte, schoss es ihm durch den Sinn, während er den Parkplatz ansteuerte, auf dem der Mietwagen auf sie wartete. Aber dazu würde es nicht kommen, nahm er sich vor. Wenn er nicht Gefahr laufen wollte, für völlig durchgeknallt erklärt zu werden, weil er die Phantasien seiner Frau nicht nur teilte, sondern auch noch als wahr ansah, ja, jetzt sogar glaubte, dass sie in der Tat bereits einmal gelebt und schon von je her füreinander bestimmt gewesen waren, dann war er gut beraten, wenn er die Klappe hielt.
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