Hexenjagd
als jene ihrer Vermieterin, die sich herzlich lachend von dem Mann verabschiedete.
„Das nächste Mal wartest du nicht so lange“, tadelte die alte Dame ihn mit ihrer hohen, dünnen Stimme. „Wer weiß, ob ich sonst deinen nächsten Besuch noch erlebe!“
„Du bist doch unverwüstlich, Tantchen“, ertönte eine tiefe, leicht vibrierende Stimme. „Du wirst doch hundert Jahre alt. Also rede nicht so einen Unsinn.“ Mit diesen Worten richtete sich der Mann zu voller Größe auf und drehte sich um.
Celiska sah den Fremden an und stand wie vom Blitz getroffen da, während ihr Innerstes von einem jähen Hitzestoß durchdrungen wurde, nur um sich gleich darauf in einem krampfartigen Zucken zusammenzuziehen. Als ihr bewusst wurde, dass sie den Mann offenen Mundes anstarrte, kam sie endlich zur Besinnung, entschuldigte sich hastig und beeilte sich dann mit brennenden Wangen ins Haus zu kommen. Ohne auf die kleine Frau zu achten, die ihr erst erschrocken und dann ein wenig irritiert nachsah, rannte sie die Treppe hinunter und verschwand schleunigst in ihrer Wohnung.
„Wer war das denn?“, fragte der Fremde interessiert.
„Das war Frau Falquardt, unsere neue Mieterin“, erklärte die alte Dame bereitwillig. „Ist ein sehr nettes Ding. Allerdings ist sie manchmal schon ein bisschen komisch.“ Eine Handbewegung sollte verdeutlichen, dass sie die junge Frau für überspannt hielt. Dann klopfte sie ihrem Neffen leicht auf die Schulter und lächelte ein Kleinmädchenlächeln. „Wann kommst du wieder, Vincent?“, fragte sie mit bettelnder Stimme. „Du weißt, dein Onkel wird sehr enttäuscht sein, wenn er erfährt, dass du mich besucht, aber nicht auf ihn gewartet hast.“
„Dieses Mal dauert es nicht so lange“, versprach er lachend. „Vielleicht komme ich schon morgen wieder vorbei und sage Onkel Felix guten Tag. Du kannst ihm ja schon mal Grüße von mir bestellen.“ Während er sprach, schaute er noch einmal zur Treppe, die zum Untergeschoss des Hauses führte, schüttelte unmerklich den Kopf und wandte sich zum Gehen. Doch je weiter er sich vom Haus entfernte, umso mehr schwand das Grinsen von seinen Lippen, denn die Erinnerung an das frische Mädchengesicht ließ sein Herz schneller schlagen.
Am Ende strich er sich mit einer fahrigen Handbewegung eine Strähne seines pechschwarzen Haares aus der Stirn, schloss die Tür seines Autos auf und stieg ein. Hexenaugen, ging es ihm dabei durch den Sinn. Er hatte diese Augen schon oft gesehen, erinnerte er sich plötzlich. Aber das war bis heute immer nur in seinen Träumen geschehen. Sie waren einer gesichtslosen Person zugeordnet gewesen, die allein mit ihrer schemenhaften Anwesenheit eine drängende, aber unstillbare Sehnsucht in ihm hervorgerufen hatte, die ihn selbst nach dem Aufwachen verfolgte und quälte. Selbstverständlich war er sich immer im Klaren darüber gewesen, dass er einem Phantom nachjagte. Dennoch war er ständig auf der Suche nach der Frau seiner Träume, ohne sie jemals gefunden zu haben – bis jetzt.
Celiska stand unterdessen im Flur ihrer Wohnung und versuchte sich zu fangen. Zitternd lehnte sie sich an die hastig verschlossene und mittlerweile doppelt verriegelte Wohnungstür und meinte immer noch, den verwirrenden Blick eines dunkelblauen Augenpaares auf sich gerichtet zu sehen. Es war, als ob sie körperlich berührt worden wäre, dachte sie schockiert. Als ob der Mann tatsächlich die Hand ausgestreckt und sie angefasst hätte. Sie hatte mit einem Mal weiche Knie gehabt und ein Gefühl in der Magengegend, als wären da plötzlich hunderte von Hummeln, die einen wilden Tanz aufführten. Erst als sie sich dabei ertappte, von dem Fremden leidenschaftlich umarmt und geküsst werden zu wollen, war sie zur Besinnung gekommen. Selbst jetzt noch, da sie ihm nicht mehr gegenüberstand, fühlte sie eine Sehnsucht und ein Drängen in sich, welches sie nicht begreifen konnte. Wie kam sie bloß zu solchen Reaktionen? Und wieso ließen diese Gefühle sich nicht beherrschen?
Die junge Frau fühlte sich schwindlig und schwach. Sie konnte sich in der Tat kaum noch auf den Beinen halten, also torkelte sie in ihr Schlafzimmer und ließ sich dort kraftlos auf ihr Bett fallen. Die Augen blicklos zur Decke gerichtet, versuchte sie die Ursache für diesen Aufruhr in ihrem Innern zu erforschen, während sich ihr Blickfeld immer mehr verdunkelte. Schließlich versank sie in einem tiefen traumlosen Schlaf.
5
„Frau Falquardt!“
„Ja?“ Celiska
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