Hexenjagd
den immer noch stark bewachsenen Mauerdurchlass, rannte an der Kapelle vorbei über den angrenzenden Hof und hetzte dann die Treppe zum Herrschaftsgebäude hinauf. In der Eingangshalle angekommen, zügelte sie zwar ihre Geschwindigkeit, durchmaß aber die folgenden Räume dennoch mit schnellen, klickenden Schritten. Keuchend blieb sie endlich stehen und presste ihr Taschentuch an die Lippen, um das Geräusch ihres jagenden Atems zu dämpfen. Trotzdem erntete sie einen tadelnden Blick ihrer Herrin, die sich gleich darauf wieder auf den jungen Mann konzentrierte, welcher zu ihren Füßen auf einem kleinen Schemel saß und die Saiten einer Laute zupfte.
„Wo warst du?“
Celia hatte gemeint, nicht länger von Interesse zu sein, weil die Aufmerksamkeit der Herrin auf den Musikanten gerichtet schien. Als sie jedoch so unverhofft und zudem in einem unüberhörbar verärgerten Tonfall angesprochen wurde, wusste sie nicht gleich, was sie sagen sollte.
„Ich … ich …“, stammelte sie hilflos.
„Aber Mutter“, mischte sich nun Nicholas Langley mit schmeichelnder Stimme ein. „Das sieht man doch. Ihr Haar ist voller Blätter. Und an ihrem Kleid hängen immer noch Grashalme. Celia war im Obstgarten, nicht wahr?“, wandte er sich an die junge Frau, die vom schnellen Laufen immer noch ein wenig atemlos und erhitzt war. „Hast du Wiesenblumen für den Altar der Kapelle geholt?“
Die Angesprochene senkte beschämt den Kopf, gab aber keine Antwort. Wie peinlich, dachte sie. Da hatte sie gemeint, ungestraft eigene Wege gehen zu können, weil ihr – dank ihrer Vor- und Umsicht! – keiner auf die Schliche kommen würde, und verriet sich dann durch solch dumme Dinge. Warum hatte sie ihr Haar und den Rock nicht ausgeschüttelt? Weil ihr gar keine Zeit geblieben war, rechtfertigte sie sich sogleich vor sich selbst. Hätte sie auch nur einen Augenblick gezögert, sie wäre in eine noch peinlichere Lage geraten.
„Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht so leichtsinnig sein?“, grollte die alte Dame. „Du weißt, es treibt sich allerlei Gesindel in den Gärten herum.“
Die Getadelte nickte bloß.
„Wenn du das nächste Mal einen Spaziergang machen willst, sag mir Bescheid“, mischte sich Nicholas wieder ein. „Ich stelle mich als dein Bewacher zur Verfügung. Mein Degen sollte in der Lage sein, alles Gesindel zu verscheuchen, damit deine Augen nichts Hässliches zu sehen bekommen.“
Celia wich seinem Blick bewusst aus, denn sie mochte nicht, was sie daraus zu lesen glaubte. Gleichzeitig fühlte sie Unmut in sich entstehen angesichts seiner übertriebenen Freundlichkeit. Ach ja, dachte sie, Nicholas gab sich wirklich sehr aufmerksam und fürsorglich. Er schien den Zwischenfall vor der Küche völlig vergessen zu haben, denn er hatte nie wieder ein Wort darüber verloren. Möglicherweise ignorierte er auch einfach eine Tatsache, die er nicht wahrhaben wollte, weil sie seine Weltanschauung störte. Statt sich mit alltäglichen Dingen zu befassen, konzentrierte er sich auf die schönen Seiten des Lebens, wobei er neuerdings sie als bevorzugtes Objekt zu betrachten schien, dem er seine Zuwendung angedeihen ließ. Aber sie wollte seine Begleitung gar nicht, dachte sie gereizt. Sie wollte auch mal allein sein – ohne Verehrer und ohne Anstandsdame!
Zu Beginn ihres Aufenthalts im Herrenhaus war Celia mehr oder weniger unbeachtet geblieben, da man sie nicht als seinesgleichen ansah. Als jedoch deutlich wurde, dass Nicholas’ Interesse an ihr beständig zunahm, rückte ihre Person immer mehr ins Zentrum aller Aufmerksamkeit, so dass sie bald keinen Schritt mehr allein tun konnte. Immer war da jemand, der sich um sie „sorgte“ oder der ihre Aktivitäten registrierte und Lady Langley offen legte. Nicht immer konnte man sich ein hämisches Lächeln dabei verkneifen, denn ihre Eskapaden riefen einige Empörung hervor, weil sie so offen gegen die Etikette verstieß. Auch wenn die alte Dame mit einer Affenliebe an Miss Blackbird hing, gehörte sie einfach nicht in dieses vornehme Haus, tuschelte man untereinander. Sie war zwar überaus höflich und, na ja, leidlich hübsch. Trotzdem war sie nicht das, was man sich unter der Braut des jungen Herrn vorstellte.
Celia wusste, Lady Langley hatte bewusst alle Töchter der ihr untergebenen Häuser um sich versammelt, damit ihr einziger Sohn eine möglichst große Auswahl erhielt, denn er sollte baldmöglichst heiraten und ein „solides“ Leben beginnen. Sie wusste
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