Hexenjagd
vermied. Als wäre der Mann gar nicht anwesend, unterhielt sie sich von nun an ausschließlich mit den anderen, war aufmerksam, charmant und witzig, achtete jedoch peinlichst darauf, selbst nicht länger als unbedingt notwendig im Mittelpunkt zu stehen, indem sie immer wieder die allgemeine Aufmerksamkeit auf das Geburtstagskind lenkte.
Dem Ignorierten blieb zwar Celiskas Missachtung nicht verborgen, doch er konnte sich diesen Umstand nicht erklären. Normalerweise wurde er nirgends so bewusst übersehen. Dennoch war er weder in seinem Stolz verletzt, noch fühlte er sich durch ihr Verhalten zurückgestoßen, was er sich ebenfalls nicht erklären konnte. Bei jeder anderen Frau hätte er solch ein Benehmen als glasklare Abfuhr aufgefasst und sich daraufhin zurückgezogen, ohne einen Eroberungsversuch zu starten. Aber bei ihr schien alles anders zu sein, stellte er verwundert für sich fest. Obwohl sie ihm die sprichwörtliche kalte Schulter zeigte, begehrte er sie umso mehr. Er würde sich nicht entmutigen lassen, nahm er sich am Ende vor. Selbst wenn es Monate dauern sollte – er würde nicht aufgeben, ehe sie ihm deutlich sagte, dass sie nichts von ihm wissen wollte!
*
Die üppig blühende Frühsommerwiese verströmte ihren betäubenden Duft und hüllte dadurch die Sinne der jungen Frau vollends ein, die unter einem ausladenden, mit reifen Früchten übersäten Kirschbaum saß und versonnen in die Krone hinaufblickte, in der sich Vögel und Insekten tummelten. Vertieft in einen köstlichen Tagtraum, nahm sie das leise, rhythmische Stampfen zunächst gar nicht wahr. Als dieses Geräusch jedoch stetig lauter wurde, schreckte sie jäh auf und bemerkte nun auch den Reiter, der sein Pferd in gestrecktem Galopp über den Feldweg laufen ließ, der das Dorf mit dem Herrenhaus verband und am Obstgarten entlangführte. Sich langsam aufrichtend, beschattete sie mit einer Hand ihre Augen und schaute mit einem Kribbeln im Magen dem Mann entgegen, der nun den Feldweg verließ und schnurstracks auf sie zustrebte. Ein breiter Hut, mit großen weißen Straußenfedern geschmückt, verdeckte das Gesicht, doch wusste sie genau, wer da kam.
Celias Herz wollte für einen Augenblick aussetzen, nur um im nächsten zu einem unruhigen Holpern überzugehen. Immer schneller schlug es gegen ihre Rippen, als wolle es aus dem Ausschnitt ihres Mieders hüpfen. Sie krallte ihre Finger in die aufwendig bestickte Seide ihres Rocks und bekam dabei etwas Kühles zu fassen, worauf sie hinuntersah und den Rosenkranz mit dem Kruzifix daran erkannte. Was tat sie eigentlich hier, schoss es ihr mit einem Mal durch den Kopf. Sie durfte doch gar nicht hier sein! Wenn sie entdeckt wurde, würde man der Herrin wieder einen schadenfrohen Bericht erstatten, der unweigerlich zu einem Tadel führen würde!
Vergessen war die Freude über die gelungene „Befreiung“ von den anderen Damen. Vergessen auch der Genuss des herrlich warmen Tages im Obstgarten des Herrenhauses. Wie von Furien gehetzt wandte sie sich um und ergriff die Flucht. Die Röcke raffend, rannte sie durch das beinahe kniehohe Gras auf die kleine Pforte zu, durch die sie sich nach dem Mittagsmahl unbehelligt davongestohlen hatte. Offenbar seit langer Zeit unbenutzt, war der Durchgang zwischen dem winzigen Hinterhof der Kapelle und dem Obstgarten durch Sträucher und wild wuchernden Efeu beinahe vollständig zugewachsen. Doch das hatte sie nicht davon abgehalten, ihrer unstillbaren Neugier zu folgen, so dass sie am Ende einen höchst willkommenen Geheimweg für sich erschloss. Von dem Tag ihrer Entdeckung an musste sie nämlich nicht länger durch das Haupttor gehen, wenn sie den Haus- und Wirtschaftsbereich des Herrenhauses allein verlassen wollte, was jedes Mal von irgendjemandem bemerkt worden war und unweigerlich Schelte und endlose Vorhaltungen von Seiten der Herrin nach sich gezogen hatte. Gewiss, die Möglichkeit, dass ein herumstromernder Tagedieb sie überfiel und ihres Schmuckes und ihrer Unschuld beraubte, war durchaus nicht nur herbeigeredet. So etwas passierte leider immer wieder. Dennoch war sie nicht bereit, sich ständig be-und überwachen zu lassen, was zumeist mit einem einsamen Ausflug endete. Aber nun hatte man sie doch entdeckt – und zwar durch ihre eigene Schuld. Wäre sie doch sitzen geblieben, schalt sie sich, er wäre vorbeigeritten, ohne sie zu sehen!
Während sie sich im Stillen angesichts ihrer eigenen Dummheit die bittersten Vorwürfe machte, huschte Celia durch
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