Hexenjagd
Spaß!“ Das Gesicht der alten Dame drückte erwartungsvolle Freude aus.
„Heute nicht, Frau Rosenbaum“, lehnte die Angesprochene freundlich ab. „Ich bin wirklich fertig. Ein anderes Mal komme ich gern, aber nicht heute Abend.“ Mit den Gedanken immer noch bei den unerfreulichen Erlebnissen des Tages, wollte Celiska nur eines: dass man sie in Ruhe ließ, damit sie über sich und die Sache mit Nils nachdenken konnte.
„Frau Rosenbaum?“ Die kleine Frau schaute so entgeistert drein, dass es fast schon komisch wirkte. „Hatten wir nicht vereinbart, dass wir unsere Vornamen gebrauchen wollen? Oh, entschuldigen Sie …“ Die Finger ihrer schmalen Hände ineinander verschränkend, wirkte sie mit einem Mal so befangen und unsicher, als hätte sie in der Tat etwas Verbotenes getan. „Wenn Sie das nicht wünschen, werde ich … Ach du meine Güte.“ Ihre Wangen waren hochrot. Wie peinlich ihr die Situation war!
Celiska stand wie vom Donner gerührt und wusste einen Moment nichts zu sagen.
„Ist schon gut“, stotterte die alte Dame verlegen. „Ich dachte nur … Ich nahm an, Sie wünschten es so, weil Sie doch bei der Geburtstagsfeier meines Mannes … Ach, vergessen Sie es einfach“, stieß sie schließlich mit belegter Stimme hervor. „War sicher nur ein Missverständnis.“
Bevor ihre Vermieterin die Treppe hinauf flüchten konnte, fasste Celiska geistesgegenwärtig ihren Arm und hielt sie auf. Sie wusste, die kleine Frau sagte bloß die Wahrheit – auch wenn Celiska sich nicht entsinnen konnte, dass sie diese Anredeform akzeptiert hatte. Im Grunde konnte sie sich an kaum etwas erinnern, was an dem besagten Abend geschehen war, denn nach dem Augenblick „seines“ Erscheinens schien alles in einem undurchsichtigen Nebel versunken zu sein. Sie wusste zwar noch, dass sie äußerst fröhlich gewesen war, doch was sie wirklich gesagt oder getan hatte, war aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Und dann hatte sie über drei Monate nur das Allernotwendigste mit dem alten Ehepaar gesprochen, wenn sie es denn überhaupt zu Gesicht bekam. Erstens war sie ständig in Eile oder außer Haus gewesen, und zweitens hatte sie den Kontakt bewusst vermieden, um nicht zufällig in „seine“ Nähe zu geraten.
„Verzeihen Sie mir meinen Fehler“, bat sie nun. „Es kommt nicht wieder vor. Selbstverständlich bleibt es dabei, Anna. Ich bin heute nur so furchtbar durcheinander.“
Frau Rosenbaum nickte erleichtert.
„Na ja“, lächelte sie spitzbübisch. „Felix hat Ihnen ja auch ständig nachgeschenkt. Wenn man die Wirkung des Alkohols nicht gewohnt ist, fällt es einem oft schwer, sich an gewisse Dinge zu erinnern.“ Sie biss sich erschrocken auf die Lippen, weil das Gesicht ihres Gegenübers plötzlich kalkweiß geworden war. „Nein, nein“, versuchte sie zu beruhigen. „Sie haben nichts Unrechtes getan. Sie haben nur den Herren die Köpfe verdreht, mehr nicht!“
Obwohl Celiska mit Sicherheit wusste, dass die kleine Frau sie niemals belügen würde, machte sich ein Gefühl bodenloser Scham in ihr breit. Wie hatte sie sich wirklich benommen? Und warum konnte sie sich nicht erinnern? Wieder einmal war da eine Lücke, die sie beim besten Willen nicht füllen konnte. Allmählich schien das zu einer Besorgnis erregenden Gewohnheit zu werden.
Automatisch lächelnd verabschiedete sie sich von ihrer Vermieterin und schloss die Wohnungstür. Es war zwar erst acht Uhr, aber sie war so müde, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Also würde sie den Fernseher gar nicht erst einschalten, beschloss sie, sondern gleich zu Bett gehen.
„Hexe!“
Celia sah sich nach der Sprecherin um, die dieses gemeine Wort ausgestoßen hatte, bemerkte aber nur eine kleine Gruppe schwatzender Damen, welche sich zur Tür des Salons bewegten. Allein die älteste von ihnen warf einen hasserfüllten Blick über die Schulter zurück, bevor sie weiterging.
Marys Lügen über Celias vermeintliches Fehlverhalten waren bisher meist harmlos gewesen, auch wenn sie das eine oder andere Mal Unannehmlichkeiten für die Verunglimpfte mit sich gebracht hatten. Doch diesmal war die Sache ernst, denn Mary konnte offenbar nicht verwinden, dass man ihr die Fortsetzung ihrer Gesellschafterinnenrolle angeboten hatte, nicht aber den Status einer Schwiegertochter, und schien nun wild entschlossen, ihrer Rivalin nachhaltig zu schaden. Und solch eine Anschuldigung war ein todsicheres Mittel, um eine verhasste Person aus dem Weg zu räumen!
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