Hexenjagd
Männlichkeit eingeschlafen!“
Celia brauchte einen Augenblick, um die gesamte Tragweite dessen zu begreifen, was sie gerade gehört hatte. Doch dann sog sie hörbar den Atem ein. So war das also! Nicholas hatte also auch vor Marys Bett nicht Halt gemacht. Schließlich konnte man eine körperliche Reaktion nur dann beurteilen, wenn man sie selbst erfahren hatte. Und solch eine Erfahrung berechtigte durchaus zu Hoffnungen. Auch wenn der Mann sein Wort einer anderen Frau gegeben hatte, war die Sache ja noch nicht endgültig. Wenn man nämlich entsprechend reagierte, konnte man die Rivalin noch beizeiten aus dem Weg räumen. Ein gut platziertes Wort oder ein handfestes Druckmittel konnte da wahre Wunder vollbringen!
Celia hörte den Schlag ihres Herzens als dumpfes Wummern, und ihr brach der Angstschweiß aus allen Poren. Ein paar Atemzüge lang konnte sie sich noch bei Bewusstsein halten, versank dann aber in der gnädigen Dunkelheit einer neuen Ohnmacht.
9
„Guten Morgen, Celiska.“ Seiner Verlobten, die gerade das Büro betrat, nur einen kurzen Blick gönnend, konzentrierte sich Nils sogleich wieder auf den Aktenordner, den er in Händen hielt. Seine Miene war undurchdringlich, während er Seite für Seite umblätterte und am Ende ein verärgertes Schnauben hören ließ. „Ich glaube“, sagte er beherrscht, „du brauchst unbedingt ein paar Tage Urlaub.“ Den Ordner in der Hand, kam er ihr entgegen. Bei ihr angekommen, blieb er stehen und deutete mit dem Zeigefinger auf die Überschrift des aufgeschlagenen Schreibens. „Du hast doch gesagt, du hättest nichts von dem Auftrag meines Vaters gewusst. Wieso befindet sich dann hier eine entsprechende Anweisung?“
Celiska starrte ihn zunächst nur verständnislos an. Als sie gelesen hatte, was auf dem Blatt stand, wusste sie zwar, was er von ihr wollte. Sie war aber so überrascht durch das jähe Auftauchen eines ominösen Auftrages, dass sie bloß offenen Mundes zu ihm hinaufsah.
„Du kannst es nicht erklären?“, fragte er in gönnerhaft herablassendem Tonfall. „Dann tue ich es für dich, okay? Du hast diesen Wisch schlicht und ergreifend aus Versehen weggeheftet, statt ihn in die entsprechende Ablage zu geben. So weit, so gut. Als Vater dich nach der Liste fragte, hast du dich zwar daran erinnert, aber auf die Schnelle keine Entschuldigung für dein Versäumnis gefunden. Also hast du eine Ausrede gebraucht und den Auftrag dann schleunigst erledigt. Nun, damit ist die Sache vom Tisch – denke ich. Also brauchen wir das nicht mehr.“ Während er dies sagte, riss er das Schreiben aus dem Ordner und ging dann zielstrebig zu dem Aktenvernichter, der neben Celiskas Schreibtisch stand. „Geh nach Hause“, befahl er über die Schulter hinweg, während der Aktenvernichter das Blatt mit einem surrenden Geräusch verschlang, um es auf der anderen Seite in schmalen Streifen wieder auszuspucken. „Ruh dich ein paar Tage aus. Du scheinst es wirklich nötig zu haben.“
Wie sie nach Hause gekommen war, wusste Celiska nicht mehr. Ebenso wenig konnte sie sich daran erinnern, ein heißes Bad genommen und die Haare gewaschen zu haben. Der anfängliche Schock ließ jetzt ein wenig nach, so dass sie ihre Beziehung zu ihrem Verlobten noch einmal in aller Ruhe überdenken konnte. Sicher, die Indizien sprachen alle gegen sie. Dennoch hätte sie erwartet, dass er mehr Vertrauen in sie setzte – oder doch zumindest um Aufklärung des seltsamen Vorganges bemüht sei. „Hallo, schöne Frau!“
Celiska zuckte beim Klang der tiefen Männerstimme zusammen, und im nächsten Augenblick fühlte sie die Angst in Gestalt einer Gänsehaut an ihrem Rücken hinaufkriechen.
„Darf ich mich anschließen?“, fragte Vincent freundlich. „Oder möchtest du gern allein bleiben?“ Anstandshalber blieb er stehen und wartete zunächst auf eine Regung ihrerseits. Als sie nach sichtlichem Zögern kaum merklich nickte, setzte er sich auf den freien Gartenstuhl, schloss die Lider und hob das Gesicht der immer noch wärmenden Oktobersonne entgegen. „Wunderbar“, seufzte er leise. „Wenn es nach mir ginge, könnte es immerzu Sommer oder Herbst sein.“
„Was … Sie … du …“ Celiska konnte sich nicht erinnern, ihm erlaubt zu haben, sie mit dem vertraulichen Du anzusprechen. Dennoch verzichtete sie jetzt bewusst darauf, ihn zurechtzuweisen. Es wäre ihr peinlich gewesen, am Ende vielleicht zugeben zu müssen, dass sie unter unkontrolliert auftretendem Gedächtnisverlust litt.
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