Hexenjagd
gewöhnlicher Mann! Sicher, er sah umwerfend gut aus. Aber er hatte bestimmt kein Interesse an der Untermieterin seines Onkels. Warum auch? Er konnte sich sicher kaum retten vor Angeboten schöner Frauen. Und sein heutiger Besuch hatte auch nichts zu bedeuten. Er wollte doch bloß die Zeit überbrücken, bis Anna und Felix zurückkamen. Also würde sie sich jetzt zusammenreißen und eine freundliche Gastgeberin sein.
Vincent staunte nicht schlecht, als Celiska nach einigen Minuten wieder auftauchte. Ruhig und beherrscht servierte sie den Kaffee, bot sogar selbstgemachtes Gebäck an, zeigte jedoch weder Anzeichen der panikartigen Nervosität noch der jungmädchenhaften Scheu, die er auf der Terrasse erkannt haben wollte. Im Gegenteil. Voller Interesse stellte sie nun von sich aus verschiedene Fragen und lachte herzhaft, als er einige Anekdoten über seinen Onkel zum Besten gab.
„Er ist der Bruder meines Vaters“, erklärte er. „Allerdings ist er für mich mehr Vater als Onkel, denn er hat mich aufgezogen. Ein Jahr nach dem tödlichen Unfall meines Vaters hat meine Mutter wieder geheiratet. Aber wir … Nun, mein Stiefvater und ich konnten uns vom ersten Tag an nicht riechen, verstehst du. Also blieb ich bei Anna und Felix und wuchs bei ihnen auf.“
„Und deine Mutter hat dich einfach so zurückgelassen?“ Die Frage war kaum heraus, da hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen. Wie konnte sie nur so indiskret sein, schalt sie sich insgeheim. Der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen war ein Nichts gegen sie! „Ich … Entschuldige bitte.“
„Ist schon okay“, winkte er ab. „Ich hab mich falsch ausgedrückt. Mutter wollte mich durchaus bei sich behalten. Aber ich wollte nicht mit ihr gehen. Ich habe zwar immer meine Anstandsbesuche bei ihr absolviert, aber ständig bei ihr leben wollte ich nicht.“ Beim letzten Wort bemerkte er die tiefe Betroffenheit seiner Gastgeberin und beeilte sich, eine Erklärung folgen zu lassen, damit die wunderschönen grünen Augen nicht mehr gar so traurig blickten. „Ich schwöre, ich hatte eine wunderbare Kindheit in diesem Haus. Felix und Anna haben mich immer geliebt wie ein eigenes Kind und deshalb maßlos verwöhnt. Manchmal wollten sie mich zwar am liebsten verschenken, weil ich ihre Nerven zu arg strapaziert hab. Aber dann haben sie mich doch behalten, weil ich hoch und heilig versprochen hab, dass ich ab sofort der reinste Engel sein wolle.“ Einen Schluck Kaffee nehmend, äugte er über den Rand der Tasse hinweg zu Celiska hinüber, bemerkte dabei das amüsierte Lächeln auf ihren Lippen und entschied, dass er nun genug geschwatzt habe. „Was ist mir dir?“, wollte er wissen.
Celiskas Blick verdunkelte sich jäh, denn ihre eigenen Kindheitserinnerungen schienen so weit weg, dass sie sich nur schwer darauf besinnen konnte. Dennoch gab sie einen kurzen Bericht ab, der sich allerdings so unpersönlich anhörte, als trage sie den Lebenslauf einer x-beliebigen, ihr völlig fremden Person vor. Die Tatsache, dass sie verlobt war und demnächst heiraten wollte, verschwieg sie. Sie wusste selbst nicht, warum. Stattdessen erzählte sie von ihrem Beruf, erwähnte auch die Firma, für die sie arbeitete, und wunderte sich nur kurz über das unmutige Stirnrunzeln und die kurzzeitig zu einem schmalen Strich zusammengepressten Lippen ihres Gastes. Sie plauderte so locker und fröhlich über den Alltag im Betrieb, dass man nie auf den Gedanken gekommen wäre, sie sei durch das vergiftete Klima unglücklich oder gar überfordert.
Doch Vincents Ohren vernahmen nicht nur die Worte, die gesprochen wurden. Er war darin geschult, auch die Untertöne herauszuhören, so dass er alsbald zu der Erkenntnis gelangte, dass da irgendetwas faul war. Er hätte es nicht genau definieren können, denn dafür fehlte ihm jeglicher Anhaltspunkt. Trotzdem konnte er das leise Unbehagen nicht abschütteln, welches nun immer deutlicher wurde. Dass eine junge Frau absichtlich so zurückgezogen lebte wie Celiska, war schon sehr ungewöhnlich, überlegte er. Zumal sie wirklich eine Schönheit war und von Verehrern umschwärmt gehörte. Auch ihre Zurückhaltung und Bescheidenheit waren erstaunlich, denn normalerweise hielten die jungen Frauen der heutigen Zeit mit ihrem Können und Wissen nicht hinter dem Berg und wollten ihren männlichen Kollegen in allem ebenbürtig sein. Nicht so Celiska. Sie war … eine kleine Heilige, schoss es ihm mit einem Mal durch den Sinn. Mitten in all dem
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