Hexenjagd
sie aufstand, „sollten wir gar nicht erst mit der gemeinsamen Arbeit beginnen. Es wäre keine gute Basis. Wenn Sie sich allerdings ein eigenes Bild machen wollen, schlage ich vor, dass wir die Probezeit ein wenig verlängern. Somit wäre das Risiko für Sie minimal. Sollten Sie nach dieser Zeit überzeugt sein, dass ich nicht kompetent genug bin, können Sie den Vertrag für nichtig erklären.“ Hätte sie in dieser Situation nach irgendwelchen Ausflüchten oder Entschuldigungen gesucht, sie hätte keinen guten Eindruck gemacht. So aber reagierte sie instinktiv richtig, indem sie bei der Wahrheit blieb, ohne die ehemaligen Kollegen zu belasten.
„Das wird nicht nötig sein“, reagierte Herr Lohsteiner auf ihren Vorschlag. „Ich gehe davon aus, dass wir gut miteinander auskommen werden. Wie Sie sicher wissen, liegt mir sehr viel daran, ein gesundes Arbeitsklima zu erhalten.“ Bei seinem Vorgänger war das anders gewesen, erinnerte er sich, denn der hatte die Leute ständig schikaniert und gnadenlos angetrieben. Selbst vor Intrigen war der Mann nicht zurückgeschreckt, nur um die Angestellten gegeneinander aufzuwiegeln, damit sie sich gegenseitig ausspionierten und anschwärzten. Das Ergebnis war ein horrender Krankenstand gewesen, der zu erheblichen finanziellen Verlusten geführt hatte, weil die Arbeit von zusätzlich eingestelltem Personal erledigt werden musste. Mittlerweile hatten sich die Wogen geglättet, was nicht zuletzt seinem eigenen Engagement zu verdanken war, so dass das Geschäft nun wieder reibungslos lief.
*
Wäre Celiska zu einer normalen Regung fähig gewesen, hätte sie jetzt sicherlich bittere Tränen vergossen. So aber starrte sie den Telefonapparat einige Sekunden lang nur an und zuckte dann die schmalen Schultern. Die Mutter stellte sich stur, also würde sie sie auch nicht mehr anrufen, beschloss sie.
Seit der verpatzten Verlobungsfeier weigerte sich die ältere Frau, mit der Tochter zu sprechen, geschweige denn einer Einladung nachzukommen. Stattdessen reagierte sie auf jeden Anruf äußerst ungehalten oder legte einfach auf. Selbst das morgige Weihnachtsfest schien nicht wichtig genug, um sich ein wenig versöhnlicher zu zeigen. Celiska hatte ein festliches Abendessen für sich und die Mutter geplant. Doch nun verwarf sie alle diesbezüglichen Pläne, weil sie den kommenden Abend ohnehin allein verbringen würde. Sicher, sie war eingeladen worden, in das Elternhaus ihres Verlobten zu kommen, doch das hatte sie freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Nichts und niemand würde sie je wieder dazu bewegen können, freiwillig in diesen Eispalast zu gehen, schwor sie sich – auch wenn sie wusste, dass sie mit dieser Entscheidung nicht nur Nils vor den Kopf stieß.
Da die Türglocke unvermittelt schrillte, stand Celiska schwerfällig auf und ging langsam in den Flur. Wenn es Anna war, würde sie heute eine Absage bekommen, dachte sie müde. Eine freundliche Ablehnung bereits auf den Lippen, öffnete sie die Wohnungstür – und fand sich ohne jede Vorwarnung Vincent gegenüber, der, eine Blume in der Hand, am Türrahmen lehnte und mit einem schiefen Grinsen zu ihr hinuntersah.
„Was willst du?“, fragte sie tonlos.
„Ich wollte mich entschuldigen“, antwortete er. „Darf ich reinkommen?“, fragte er kleinlaut. „Ich denke, wir haben einiges zu besprechen.“
Celiska trat automatisch einen Schritt zurück, deutete einladend ins Innere der Wohnung und drehte sich auch schon um, um voranzugehen. Dass er ihr mit einer versöhnlichen Geste die wunderschöne Lilie entgegenhielt, die er eigens für sie besorgt hatte, registrierte sie ebenso wenig wie sein betroffenes Gesicht. Eiskalt, schoss es ihm durch den Kopf. Nein, stellte er sofort richtig, nicht kalt. Emotionslos! Ja, das traf schon eher zu. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen würde, was völlig normal gewesen wäre, oder mit einer heftigen verbalen Attacke. Dass sie aber so tat, als wäre sein unverzeihlicher Ausbruch nie geschehen, irritierte ihn maßlos.
Seine Gastgeberin war längst verschwunden, da erinnerte er sich, dass er ja mit einem bestimmten Anliegen gekommen war. Also nahm er sich zusammen und ging langsam zur Wohnzimmertür. Als er jedoch in den Raum lugte, durchfuhr es ihn wie ein Messerstich. Der Anblick des Mädchens, das sich in einen der Sessel gekauert und die Beine angezogen hatte, die Knie mit den Armen umschlungen, erinnerte ihn an ein verängstigtes Tier,
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