Hexenjagd
Eheversprechen noch nicht widerrufen hatte, zweifelte niemand mehr daran, dass dies bald geschehen würde. Aus der so hoffnungsvollen Braut war eine Geächtete geworden, der ein hässlicher Verdacht anhing.
„Was wirst du jetzt machen?“, fragte Venice leise.
„Ich weiß nicht“, erwiderte Celia tonlos. „Vielleicht kann ich zu Hause bleiben. Mutter wird gewiss eine Aufgabe für mich finden.“ Oder einen anderen Mann – falls es noch einen gab, der sich für die abgelegte Braut des jungen Lord Langley erwärmen konnte. „Wenn nicht, kann ich immer noch ins Kloster gehen.“ Sie bemerkte das Erschrecken in dem zarten Gesicht der Freundin und lachte freudlos auf. „Immer noch besser, als zeitlebens eine Hexe geschimpft und von den Menschen gemieden zu werden“, erklärte sie. Und das würde sie, dachte sie niedergeschlagen. Niemand würde ihr glauben, dass sie unschuldig war. Bestimmte Gerüchte hielten sich mit einer Zähigkeit am Leben, als wären sie wirklich wahr, nur weil man Angst vor Dingen hatte, die man nicht auf Anhieb begreifen konnte. Dass diese Angst durch Unwissenheit hervorgerufen wurde, interessierte keinen. Was man mit seiner beschränkten Intelligenz nicht erfassen konnte, war eben Teufels- oder Hexenwerk!
Bevor Venice zu einer Erwiderung ansetzen konnte, wurde die schwere Kammertür aufgerissen.
„Du sollst dich beeilen“, herrschte Mary Celia an. „Victor wartet mit der Kutsche.“ Die Rivalin mit einem verächtlichen Grinsen auf den Lippen von Kopf bis Fuß musternd, als hätte sie in der Tat ein liederliches Frauenzimmer vor sich, machte sie den Eindruck, als wolle sie jeden Moment ausspucken. „Kann gar nicht verstehen“, fuhr sie in beißendem Tonfall fort, „warum er darauf bestanden hat, dich selbst zu deinen Eltern zurückzubringen, wo der Stallbursche das ebenso gut hätte machen können. Scheint sich was davon zu versprechen. Hast du ihn auch verhext? Ja? Wäre ja nicht weiter verwunderlich. Wenn es beim Herrn nicht klappt, dann eben bei seinem Halbbruder. Immerhin hat er eigenes Vermögen, und gar nicht mal so wenig!“
„Hör zu, Liebes.“ Celia ignorierte Marys Anwesenheit so konsequent, als sei die Frau gar nicht da. Stattdessen führte sie Venice zu ihrer Wäschetruhe und öffnete sie. „Du kannst dir meine Kleider nehmen“, bot sie an. „Ich werde sie nämlich nicht mehr brauchen. Auch wenn Lady Langley sich gegen eine Anklage entscheiden sollte, werde ich nicht mehr zurückkommen.“ Mit diesen Worten nahm sie ihre Sachen auf und marschierte hinaus, ohne Mary eines Blickes zu würdigen. Allein das zornige Gesicht ihrer Widersacherin, der die Genugtuung verweigert wurde, ihr Opfer um Gnade winseln zu hören, entlockte ihr ein leichtes, wenn auch bitteres Lächeln.
Victor hielt die Zügel in der Hand, als hätte er nie etwas anderes getan, während die Kutsche rumpelnd und schwankend über den schlammigen Weg rollte. Die junge Frau neben ihm auf dem Kutschbock wirkte ruhig und gelassen, obwohl sie erbärmlich frieren musste, denn ihr dünner Umhang konnte die eisige Kälte des Dezembertages garantiert nicht abhalten. Er hatte sie in das Innere des Gefährts verfrachten wollen, war jedoch nicht gegen ihre Argumente angekommen, erinnerte er sich. Es gezieme sich nicht, hatte sie gesagt, dass sie wie eine vornehme Dame reiste, wo sie doch nicht mehr war als eine bessere Dienstmagd. Er solle getrost fahren, hatte sie verlangt, sie würde auf dem Kutschbock auch nicht schlechter sitzen. Natürlich hätte er sie mit Gewalt ins Innere der Kutsche schieben können. Aber dann hätten die heimlichen Beobachter sicherlich ein rechtes Spektakel zu sehen bekommen! So wie er Celia kannte, hätte sie ihm eher die Augen ausgekratzt, als sich von ihm anfassen zu lassen. Dass sich ihre Körper auf dem Kutschbock nun viel häufiger und intensiver berührten, schien ihr dagegen nichts auszumachen. Selbst wenn sie durch das Schlingern des Gefährts gegen ihn geworfen wurde, zuckte sie nicht zurück, wie sie es bei früheren Begebenheiten stets getan hatte, sondern setzte sich bloß ruhig wieder zurecht.
„Was habt Ihr nun vor?“, wollte er wissen, bekam darauf aber nur ein gleichgültiges Schulterzucken zur Antwort. Also richtete er seine Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf die Pferde. Aber schon an der nächsten Biegung gingen seine Gedanken wieder eigene Wege. Am Ende nickte er, als wolle er sich selbst etwas bestätigen, und fragte: „Wollt Ihr nicht mit mir
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