Hexenkessel
hoffe, meine Offenheit kränkt Sie nicht, aber Sie haben uns jedesmal überlistet, uns ins Aus manövriert und uns große Verluste beschert. Nun, nichts für ungut. Ich denke, es ist an der Zeit, daß ich mich nach einem neuen Job umsehe. Ich vermute nämlich, daß VB die Staaten in Kürze verlassen wird. Er hat sich in diesem Land ja noch nie wohl gefühlt. Zum Glück habe ich ein bißchen Geld auf die hohe Kante gelegt - eine halbe Million Dollar, um genau zu sein.«
»Sie haben aber auch eine ganze Reihe von Menschenleben auf dem Gewissen«, entgegnete Tweed.
»Ach, Tweed …«, Brand spreizte die Finger, »ich vermute, das bringt die Umgebung und dieser Job so mit sich. Wir sind hier in Amerika. Ich kannte da mal einen Burschen, einen Amerikaner übrigens, der mir erklärt hat, worauf sich all das zurückführen läßt. Vor langer Zeit, zu Beginn der Zivilisation, zogen Karawanen von Siedlern Richtung Westen, auf diese Küste zu. Damals galt der Grundsatz: Jeder kämpft für sich allein. Wenn dir jemand in die Quere kommt, erschieß ihn - ehe er dich erschießt. Etwas vom Geist dieser wilden Zeit lebt bis zur heutigen Generation in den Menschen fort. Das ist es auch, was die Yankees von den Europäern unterscheidet: Sie sind rauher. Rauher - nicht etwa härter. Unter zu großem Druck zerbrechen sie.« Wieder grinste er. »So, wie wir unter dem Druck zerbrochen sind, den Sie auf uns ausgeübt haben.«
»Sie sagten, VB stünde im Begriff, das Land zu verlassen«, erinnerte ihn Tweed. »Wissen Sie, wo er hin will?«
»Es wird gemunkelt, daß es ihn in den Fernen Osten zieht. Er hat Bekannte dort unten - und bei den arabischen Banken ein Vermögen liegen. Er zieht eben einfach weiter.«
»Ich glaube, wir sollten seinem Beispiel folgen«, sagte Tweed entschieden.
Brand ging voraus. Newman hielt sich dicht hinter ihm, den Revolver ungeachtet der Tatsache, daß Tweed mißbilligend mit dem Kopf schüttelte, unverwandt auf den massigen Rücken des Hünen gerichtet. Direkt neben Brands Büro stand eine Tür offen. Tweed vernahm das leise Rattern eines Fernschreibers und spähte neugierig in den Raum.
»Hallo«, sagte Vanity, ihn freundlich anlächelnd.
Auf ihrem Schreibtisch standen ein Computer und ein Faxgerät. Sie drehte sich um, streckte die Hand nach dem hinter ihr stehenden Fernschreiber aus, griff nach der Handvoll Papier, die die Maschine soeben ausgespien hatte, und winkte ihm damit zu.
»Keine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten«, sagte sie fröhlich. »Das hier gehört ins Altpapier. Ich räume gerade meinen Schreibtisch auf.« Sie blickte über Tweeds Schulter Newman an. »Ich denke da wie Sie, Bob. Wenn ich etwas angefangen habe, dann bringe ich es auch zu Ende.«
»Demnach verlassen Sie die AMBECO?« fragte Tweed.
»Ich denke schon. Seien Sie vorsichtig.«
Brand begleitete sie zur Tür, verabschiedete sich und kehrte zu seinem Büro zurück, ohne dem Wachmann, der noch immer bewußtlos am Boden lag, auch nur einen Blick zu gönnen. Tweed stieg als letzter in das Auto ein. Einen Moment lang blieb er auf der Terrasse stehen und blickte zu den Zinnen der gotischen Scheußlichkeit auf. Paula bemerkte, wie ein undefinierbarer Ausdruck über sein Gesicht huschte.
»Ethan schien mir ein ganz anderer Mensch zu sein«, bemerkte sie, als Newman auf die geöffneten Tore zufuhr.
»Mir kam es so vor, als würde er Theater spielen«, widersprach Alvarez.
»Ich fand sein Benehmen damals, als wir ihn oben in Palo Eldorado mit diesem Mädchen tanzen sahen, weitaus erschreckender«, mischte sich Tweed ein. »Es hat mir einen kalten Schauer über den Rücken gejagt.«
»Im ganzen Gebäude herrschte eine merkwürdige Atmosphäre«, meinte Paula nachdenklich.
»Ja, und ich mußte ständig an eine tickende Zeitbombe denken«, erwiderte Tweed.
Nachdem sie Black Ridge verlassen hatten, legten beide Wagen ein kurzes Stück auf dem Highway zurück und bogen dann auf Tweeds Aufforderung in die Zufahrt zu The Apex ein. Tweed stieg aus, woraufhin Mrs. Benyon zur Tür herauskam, diesmal ohne Gehstöcke, dafür aber mit einem Koffer in jeder Hand.
»Bin ich froh, Sie zu sehen«, sagte sie zu Tweed.
Ihr Gepäck wurde im Kofferraum des BMW verstaut, dann waren Tweed und Newman ihr dabei behilflich, ihre Körpermasse auf den Beifahrersitz zu zwängen. In sich hineinkichernd, zwinkerte sie Tweed zu.
»Entweder ist der Sitz zu klein, oder ich bin zu dick. Ich fürchte aber, letzteres ist der Fall. Danke, daß Sie mich
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