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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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hinaus.
    »Fragen Sie meine Frau«, murmelte Enzo. »Sie weiß das besser als ich.«
    »Sie hat verneint. Sie meinte, Sarah hätte keinen Liebhaber gehabt.«
    »Dann wird es wohl so sein.«
    »Signore, ich mache diesen Job seit sechsundzwanzig Jahren. Ich kenne mich mit Menschen ein bisschen aus, und ich habe gesehen, dass sie gelogen hat. Was wissen Sie? Wir wollen niemanden in die Pfanne hauen, wir wollen auch niemanden im Dorf an den Pranger stellen, wir wollen nur die Wahrheit wissen und einen Mord aufklären. Höflichkeiten und Empfindlichkeiten sind in dieser Situation fehl am Platze.« Neri stand auf und ging zum Fenster.
    Enzo nutzte die kleine Pause, um zu überlegen. Früher oder später würden sie es sowieso herausbekommen. Wenn er jetzt verneinte, würden sie spätestens dann wissen, dass er – genau wie Teresa – gelogen hatte, und würden wiederkommen, um ihn zu fragen warum. Um wen zu schützen? Das war genau die Frage, die er jetzt auch sich selber stellte.

    Sarah nützte es nichts mehr, wenn er schwieg. Es erschwerte nur die Ermittlungen. Vielleicht hatte ihre Ermordung ja mit ihrem Verhältnis zu tun. Im Grunde seiner Seele war Enzo sogar davon überzeugt. Sollte er einen Mörder schützen oder decken, der ihm den liebsten Menschen in seinem Leben genommen hatte? Dazu hatte er überhaupt keine Veranlassung. Er würde sagen, was er wusste, die Schlüsse daraus musste die Polizei allein ziehen. Sarah war tot. Er konnte sie nicht mehr verraten, er konnte nur dabei helfen, ihren Mörder zu finden, den er hasste, seit er erfahren hatte, was mit Sarah geschehen war.
    Tommaso kam mit dem Wasser wieder. »Nun?« fragte Neri, »können Sie mir meine Frage jetzt beantworten?«
    »Ja.« Enzo legte den Kopf in den Nacken und blickte zur Decke. »Antonio Graziani aus Siena. Er hat ein Papierwarengeschäft in der Via di Città. Antonio war ihr Liebhaber. Seit anderthalb Jahren ungefähr. Antonio ist dreizehn Jahre jünger als sie, und sie war ihm vollkommen verfallen. Aber sie wollte ihre Familie nicht verlassen. Sie wollte Romano nicht aufgeben, sie wollte beide.«
    »Und beide wussten voneinander?«
    Enzo nickte. »Beide wussten voneinander. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.«
    »Und Romano?« Neri beugte sich vor und sah Enzo direkt ins Gesicht. »Wie ging er damit um? Wie verkraftete er es?«
    »Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen«, wiederholte Enzo und schloss die Augen.

28
    Donato Neri fuhr nur selten nach Siena. Was er zu erledigen hatte, erledigte er lieber direkt in Montevarchi, in San Giovanni oder in Terranuova Bracciolini. Es war keine schöne Gegend, sondern ein Industrieballungsgebiet, aber immerhin bekam man alles, was man brauchte. Wenn es auch mühsam war, die verschiedensten Dinge in den unterschiedlichsten Geschäften oder Betrieben zusammenzusuchen.
    Für die alltäglichen Einkäufe gab es immerhin einen überschaubaren Supermarkt in Montevarchi und einen noch wesentlich größeren überdimensionalen Supermarkt derselben Kette in Arezzo. Das genügte Neri völlig. Er ging ohnehin nicht gern einkaufen, empfand es als verlorene Zeit und war jedes Mal extrem gestresst, wenn er wieder nach Hause kam.
    Neris privates Leben spielte sich also zwischen Montevarchi und Arezzo ab, Siena kam darin nicht vor, eine Fahrt dorthin war für ihn jedes Mal eine Reise in eine andere Welt. Und dementsprechend schlecht kannte sich Neri auch in Siena aus. Tommaso, der nicht in der Lage war, während der Fahrt Straßenkarten zu lesen, ohne sich zu übergeben, war ihm da keine große Hilfe.
    Als Neri das erste Stadttor passiert hatte, brauchten sie
noch eine gute halbe Stunde, bis sie in dem Gewirr von kleinen Gassen, die oftmals plötzlich als Treppe endeten, die Via di Città und das kleine Schreibutensiliengeschäft gefunden hatten.
    Neri parkte direkt vor der Tür und legte seinen Polizeiausweis ins Fenster.
    Der Mann hinter dem Ladentisch war ungefähr Ende zwanzig, groß, extrem schlank, aber dennoch muskulös. Er hatte seine dunklen Haare gerade gescheitelt und mit Hilfe von Pomade streng und überaus ordentlich nach hinten gekämmt. Sein anthrazitfarbener Anzug saß perfekt, die Krawatte in erdfarbenen Beige- und Grüntönen war dezent und geschmackvoll. Auffällig an diesem attraktiven jungen Mann waren nur seine hellblauen, glasklaren Augen, die in einem starken Kontrast zu seinen dunklen Haaren und dem leicht bräunlichen Teint standen. Wasserblaue klare Augen, die man in Italien eher selten

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