Hexenkind
»Einfarbige Bademäntel sind langweilig«, erklärte sie ihm. »Ganz schlimm sind die weißen, da sehe ich sofort ein Sanatorium mit lauter Achtzigjährigen vor mir, die mit ihren offenen Beinen ins Thermalbad steigen. Bademäntel mit Blumen, Ornamenten, kariert oder mit irgendwelchen anderen Mustern sind affig oder schwul oder für irgendwelche
eingebildeten Aristokraten, die einen eigenen Kult daraus machen und den ganzen Tag im Bademantel herumlaufen. Nur gestreifte Bademäntel sind ungeheuer sexy. Aber sie dürfen nicht zu bunt sein. Der hier ist genau richtig.«
Romano war sofort überzeugt und trug den Bademantel täglich. Er fühlte sich darin wie »zu Hause«, und wenn der Mantel gewaschen wurde und zwei Tage auf der Leine hing, kam er sich ganz hilflos vor. Mittlerweile waren die Ärmel durchgescheuert, auf dem Rücken gab es einige Mottenlöcher, und einzelne Fäden hingen aus dem Gewebe heraus. Seit Jahren hatte er in den Geschäften nach einem Ersatz gesucht, aber nie einen ähnlich schönen gefunden. Jetzt, wo Sarah tot war, liebte er den Bademantel nur noch mehr und erinnerte sich daran, wie er ihn immer aufgehalten hatte, wenn sie aus der Dusche kam. Sie hatte sich eng an ihn gedrückt und ihn mit ihren Armen umschlungen. Er hatte den Bademantel hinter ihrem Rücken geschlossen, dort war sogar Platz für zwei.
Donato Neri klingelte nicht. Er stand plötzlich vollkommen überraschend in der Küche, während Edi laut schmatzend sein Müsli hinunterschlang.
»Es tut mir leid«, sagte Neri, »aber Sie sind verhaftet, Herr Simonetti. Vorläufig. Bis so einige Ungereimtheiten endgültig geklärt sind, muss ich Sie leider bitten mitzukommen.«
In diesem Augenblick wusste Romano, dass es ein langer Abschied werden würde.
»Kann ich mich noch anziehen und kurz frisch machen?«, fragte Romano.
Neri nickte. »Ja. Und packen Sie das Allernötigste zusammen,
einige Toilettenartikel, die Sie unbedingt brauchen. Aber bitte beeilen Sie sich.«
Romano stand auf. »Kann ich meinen Bademantel mitnehmen?« Er legte sich wie zum Schutz eine Hand auf die Brust und zog den Mantel enger zusammen.
»Nein.« Neri stülpte seine Lippen bedauernd nach innen. »Tut mir leid, aber die Kleidung wird Ihnen im Gefängnis gestellt.«
Das ist ein Albtraum, dachte er, als er sich im Schlafzimmer so eilig anzog, als ginge es darum, ein Flugzeug nicht zu verpassen. Ein Albtraum, der einfach nicht endete. Es kommt immer mehr dazu, ich taumle von einer Katastrophe in die andere, stürze auf einen Abgrund zu und habe nirgends eine Möglichkeit, mich festzuhalten und den immer schneller werdenden Fall aufzuhalten.
Als er mit einer kleinen Tasche in die Küche zurückkehrte, war Edi fertig mit seinem Essen und pulte sich in den Zähnen herum. Neri stand neben dem Tisch, sah ihm dabei zu, hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und wippte auf seinen Füßen auf und ab.
»Hoch und runter – immer munter«, sagte Edi und grinste breit.
»Ich werde für dich kämpfen«, sagte Teresa, die in der Tür stand, mit tränenerstickter Stimme. »Ich hol dich da raus, das verspreche ich dir, was meinst du, wie ich Himmel und Erde in Bewegung setzen werde, da kennst du bisher deine Mutter aber schlecht!«, fügte sie überflüssigerweise noch hinzu und strich ihm wie einem Kind übers Haar. »Und natürlich kümmere ich mich um Elsa und Edi. Du kannst ganz beruhigt sein und dich auf mich verlassen.«
Romano nickte. »Danke, Mama.«
Dann ging er auf Edi ging zu, nahm ihn in den Arm und küsste ihn auf den blanken, rosigen Schädel. »Ich muss eine Weile weg«, flüsterte er. »Aber keine Sorge, ich komme bald wieder, und dann gehen wir angeln.«
Edi nickte.
»Vergiss nicht, dass ich dich lieb hab«, sagte Romano schnell und wandte sich ab, weil er kurz davor war, die Fassung zu verlieren.
»Kein Au – nur ein Ciao«, sagte Edi.
Neri legte Romano Handschellen an, was Romano ungeheuer demütigend fand. Er wusste, dass in Montefiera in diesem Moment nicht nur Enzo am Fenster stand und die Szene beobachtete.
Bevor Romano ins Auto der Carabinieri stieg, sah er Edi am Fenster. Er winkte wie wild, und dabei schlingerte seine Hand derart auf und ab, als habe sie kein Gelenk.
ZWEITER TEIL
LA COLPA - DIE SCHULD
Toskana, 22. September 1988 – siebzehn Jahre vor Sarahs Tod
30
Der heftige Schmerz traf sie so unvorbereitet, dass ihre Knie regelrecht einknickten. Sie stützte sich auf den Küchentisch, atmete tief und wartete, dass die
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