Hexenkind
hochhob, hörte es vor Schreck auf zu brüllen und starrte ihn überrascht an.
»Ciao, Cara«, sagte er und küsste Elsa. »Ich bin Enzo, dein Großvater.«
Er erinnerte sich noch ganz genau, dass dieser Tag, als Romano, Sarah und Elsa in der Toskana ankamen, ein kalter Wintertag Mitte Januar gewesen war. In der Nacht würde die Temperatur sicher wieder auf fast zehn Grad minus fallen. Über den Bergen lagen dunkle Wolken, die untergehende
Sonne hatte gerade einen Spalt, um ihr schwaches orangefarbenes Licht wenigstens einige Minuten leuchten zu lassen. Wahrscheinlich wird es Schnee geben, das sah und fühlte er, und er freute sich für Elsa. Alle Kinder liebten den Schnee, und auch wenn die Kleine aus einem kälteren Land kam, so würde er ihr doch zeigen, wie schön der Winter in Italien sein konnte. Hügel gab es in dieser Gegend genug, er hatte zwar keinen Schlitten für Elsa, aber im Magazin lag eine flache, große Blechpfanne, mit der es sich sicher wunderbar rodeln ließ.
Er freute sich auf Elsa und den Schnee und auf Sarah und Romano, die endlich wieder ein bisschen Leben in das schweigsame Haus bringen würden, in dem man fast ausschließlich Teresas Stimme hörte, die Befehle an die Putzfrau oder ihn weitergab, den Rosenkranz betete oder im Namen der Heiligen Jungfrau fluchte.
Enzo hatte Teresa geheiratet, weil er mit ihr eine Seelenverwandtschaft zu spüren glaubte. Beide standen mitten im Leben, beide hatten ihre Ehepartner durch einen frühen Tod verloren, und beide mussten sich darauf einstellen, im Alter allein zu sein. Enzos Lebensinhalt bestand darin, in seinen Weinbergen und Olivenhainen zu arbeiten, aber er wollte wissen wofür. Er hatte keine Kinder und sehnte sich nach einer Familie, für die er schuften und Geld verdienen konnte. Teresa kannte er schon lange, bei Dorffesten waren sie sich immer wieder begegnet, sie war eine handfeste zupackende Frau, und das gefiel ihm. Er brauchte keine Liebhaberin für das letzte Drittel seines Lebens, sondern einen Kumpel. Teresa schien mit ihren fünfzig Jahren und ihrem scheinbar unverwüstlich stabilen Körper genau die Richtige zu sein. Er fragte sie noch vor dem ersten Kuss, ob sie
seine Frau werden wolle, und Teresa überlegte nicht lange und sagte Ja. Enzo war ein kräftiger und immer noch attraktiver Mann. Es konnte ihr gar nichts Besseres passieren, als eine starke Schulter an ihrer Seite zu haben, an die sie sich anlehnen und auch mal schwach sein durfte. Dass sein Rheuma alle Lebenspläne so frühzeitig zerstören würde, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen.
Die zurückhaltende Kühle, mit der Teresa an diesem Januartag Romanos Freundin begegnete, irritierte Enzo. Die junge Frau war keine zehn Minuten im Haus, hatte kein böses Wort verloren, niemandem etwas getan, und schon fand sie sich bei Teresa einer Mauer der Ablehnung gegenüber. Und dann bemerkte er die Zärtlichkeit in Romanos Blick, wenn er Sarah ansah, das offensichtliche Glück, sie an seiner Seite zu haben, die Liebe zu ihr, die aus jedem Wort und jeder Geste sprach.
Das kann es nicht sein, dachte Enzo, das wäre zu plump.
Aber genau so plump war es. Bereits in den ersten Minuten ihres Zusammentreffens mit Sarah begriff Teresa instinktiv, dass sie ihren Sohn an diese Frau verloren hatte. Für ihn würde es von nun an immer zuerst Sarah und dann erst seine Mutter Teresa geben und nicht umgekehrt. Die Eifersucht schmerzte in Teresas Brust, als hätte sie Säure getrunken.
Teresa versuchte sich zu arrangieren, sie wollte Sarah lieben, aber es gelang ihr nicht. Die Eifersucht saß zu tief und zerriss ihr das Herz. Und irgendwann begann sie gegen Sarah zu kämpfen, weil sie sich dann besser fühlte. Doch wirklichen Frieden fand sie erst jetzt. Nach Sarahs Tod.
Bei Sarahs und Romanos Ankunft im Januar vor fast siebzehn Jahren schneite es tatsächlich in der Nacht. Dicke
dichte Flocken fielen unaufhörlich und ließen Olivenbäume, Weinberge, Eichenwälder, Landgüter, Wege und Straßen unter einer dreißig Zentimeter dicken, wunderbar weißen, wattigen Schneedecke verschwinden.
Elsa jubelte, als sie aus dem Fenster sah. Ihr Jubel klang wie ein wildes Jodeln und schallte durch ganz Montefiera. Während Teresa, Sarah und Romano die drei Räume im ersten Stock herzurichten begannen, stieg Enzo mit Elsa und Blechpfanne in die Berge und brachte ihr das Rodeln bei. Elsa himmelte ihren Großvater mit großen weiten Augen an und schrie nicht ein einziges Mal.
Enzo schreckte
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