Hexenkind
ja gewohnt. Aber mir reichte es. Ich war das Theater leid, zog mich an und ging. Ich hatte nicht die geringste Lust, mit Romano zusammenzutreffen, und wollte zu Hause wenigstens noch ein paar Stunden schlafen.«
»Wann verließen Sie das Haus?«
»Um halb drei.«
»Und wann waren Sie zu Hause?«
»So um Viertel nach drei. Kann auch halb vier gewesen sein.«
»Kann das jemand bezeugen?«
Antonio zuckte die Achseln. »Nein, ich wohne allein. Meine Katze vielleicht, aber das wird Ihnen nicht viel weiterhelfen.«
»Wie recht Sie haben.« Allmählich gingen Neri Antonios
geschliffene Art und seine arrogante Überheblichkeit auf die Nerven. Er ist ein Fisch, dachte Neri, ein aalglatter, kalter Fisch. Überhaupt kein Mann für eine reife, leidenschaftliche Frau wie Sarah Simonetti.
»Vielen Dank«, sagte Neri und stand auf. Tommaso erhob sich ebenfalls und klappte sein Notizbuch zu. »Das wär’s fürs Erste«, meinte Neri. »Aber ich habe sicher in den nächsten Tagen noch weitere Fragen.«
»Kein Problem.« Antonio ging zur Tür um zu öffnen.
»Können Sie morgen um zehn aufs Präsidium nach Montevarchi kommen? Wir brauchen Ihre DNA.«
»Selbstverständlich.« Antonio lächelte und zeigte dabei seine perfekten Zähne.
»Arrivederci, Commissario. Buonasera.«
Neri grummelte eine Erwiderung und verließ mit Tommaso das Geschäft.
»Was war das denn für einer?«, fragte er mehr sich selbst als seinen Assistenten, als er ins Auto stieg und den Motor startete.
Tommaso grinste. »Ein Schauspieler. Sein ganzes Leben ist eine einzige perfekte Inszenierung. Und für den Applaus verkauft er seine Großmutter.«
»Da ist was dran«, meinte Neri und lenkte den Wagen langsam und vorsichtig durch die zahlreichen Passanten auf der Via di Città. »Da ist wirklich was dran.«
»Und noch was, Chef.«
»Ja?«
»Warum belastet er sich selbst? Ich begreife es einfach nicht! Er war also derjenige, der die Signora kurz vor ihrem Tod als Letzter gesehen hat. Und niemand kann bezeugen, dass er um halb drei nach Hause gegangen ist. Wenn er uns
das nicht auf die Nase gebunden hätte, hätten wir es vielleicht nie erfahren.«
»Er wird seine Gründe haben, denn blöd kam er mir nicht vor. Vielleicht hat er das alles nur erzählt, um Romano zu belasten? Könnte ja sein.« Neri machte ein wichtiges Gesicht.
»Bei der Signora war er in dieser Nacht auf alle Fälle. Sonst wüsste er nichts von Romanos Telefonat.«
»Stimmt.« Neri nickte anerkennend, hatte endlich das Stadttor erreicht und schnaufte erleichtert. Er sah Tommaso an.
»Ist Antonio für dich verdächtig?«
»Nein. Überhaupt nicht.« Tommaso schnaubte geräuschvoll. »Er hatte nicht das geringste Motiv, seine Geliebte zu töten. Und wenn das Messer aus der Trattoria die Tatwaffe ist, dann dürfte es problematisch für ihn gewesen sein, sie sich zu besorgen.«
»Tja, genauso sehe ich das auch.«
»Aber warum hat Romano«, fragte Tommaso und öffnete einen Spalt breit das Fenster, »wenn er es wirklich war, das Messer nach der Tat nicht einfach gesäubert und wieder in den Messerblock gesteckt?«
Neri brach der Schweiß aus. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Es passte alles so perfekt: Romano hatte ein dickes Motiv, nicht die Spur eines Alibis, das Sperma war von ihm und nicht von irgendeinem Fremden, und die Tatwaffe stammte wahrscheinlich aus seinem Haus und war bis heute nicht gefunden.
Er hatte sich schon darauf gefreut, mit Gabriella die Lösung des Falles zu feiern, und dann stellte Tommaso so eine hanebüchene Frage.
29
Romano stand verschlafen und noch unrasiert in der Küche und mischte Edis Müsli zusammen, was eine komplizierte Angelegenheit war. Edi mochte Haferflocken, aber keine Kleie. Er mochte Nüsse, aber keine Mandeln, er aß gerne Äpfel, aber keine Bananen. Er liebte alles, was mit Orangen zu tun hatte, und verabscheute Zitronen. Backpflaumen fand er widerwärtig und spuckte sie ohne Vorwarnung über den Tisch, aber Rosinen waren seine Leidenschaft. Er konnte sie bergeweise vertilgen. Es war also nicht einfach mit Edi, und seine dunklen Augen, umgeben von den gespenstisch wimpernlosen Lidern, kontrollierten ganz genau, was Romano in den Teller schüttete. Aber wie fast immer schwieg er. Nur an seiner Mimik konnte man erkennen, ob er zufrieden war oder nicht.
Romano trug seinen grau-schwarz-blau-gestreiften Bademantel, den Sarah ihm vor zehn Jahren geschenkt hatte. Sie hatte immer ihre eigene Bademantel-Philosophie gehabt.
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