Hexenkind
Geschichte erfahre, dann will ich sie gar nicht hören«, meinte Sarah beschwichtigend, obwohl sie vor Neugier platzte.
»Sie waren bereits fünf Jahre verheiratet, und Rosa war zum ersten Mal schwanger«, fuhr Teresa ungerührt fort. »Kein Mensch weiß, warum das ewig nicht geklappt hatte, aber nun gut, nun war es ja endlich soweit.«
Enzo sprang auf, verließ die Küche und knallte die Tür hinter sich zu.
»Was tust du, Teresa?«, fragte Sarah erschrocken. »Was soll das? Warum suchst du mit aller Macht immer nur Streit?« Statt einer Antwort verschränkte Teresa die Arme vor der Brust. Sarah war jetzt auch wütend, verließ ebenfalls die Küche und lief Enzo hinterher.
Die drei Espressi standen unberührt auf dem Küchentisch und wurden kalt.
Sarah fand Enzo in der Werkstatt, wo er sein Werkzeug aufräumte. Er hängte Schraubenzieher und Schraubenschlüssel der Größe nach geordnet in die Halterungen an der Wand, sortierte Schrauben, Nägel und Dübel in kleine Kästchen, stopfte Arbeitshandschuhe in die Kommode und Isolierband und Schnüre in Schubladen.
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, aber er sah sie nicht an.
»Erzähl es mir«, sagte sie leise. »Oder soll ich mir Teresas Version anhören?«
»Nein. Das sollst du nicht.«
»Bitte, erzähl es mir.«
Enzo knallte ein Maßband in den Werkzeugkasten. »Ich weiß nicht, warum Teresa immer darauf herumhackt … Ja, es stimmt, wir haben fünf Jahre lang Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit Rosa endlich schwanger wird. Aber in Wahrheit waren das Schlimmste die Nachbarn, die Freunde, Rosas Mutter, die andauernd fragten: ›Was ist denn los? Warum klappt es denn nicht? Liegt es an ihr oder an dir?‹ Es war schrecklich und ging uns ungeheuer auf die Nerven. Glaub mir, Sarah, ich wäre mit Rosa auch glücklich gewesen, wenn es nie geklappt hätte. Mit Rosa konnte man gar nicht unglücklich sein.«
Enzo schwieg, und auch Sarah sagte nichts, bis Enzo fortfuhr.
»Doch dann war sie plötzlich schwanger. Grazie a Dio, und ich sag dir, sie war nicht wiederzuerkennen. Sie war fröhlich, sprang in der Gegend herum, sang den ganzen Tag und platzte irgendwie vor Energie. Unglaublich. Jeden Tag hatte sie neue Pläne, interessierte sich auf einmal für die Natur, für Pflanzen, für Heilkräuter, für Küchenkräuter, kaufte Terrakottatöpfe, wollte überall Beete anlegen, ich kann es dir nicht beschreiben. Früher hatte sie immer gern bis neun geschlafen, jetzt stand sie um sechs auf und lief durch den Wald – sie war einfach wie ausgewechselt. Ich dachte immer, Frauen werden depressiv, wenn sie schwanger sind – bei Rosa war es umgekehrt.«
»Und dann?«
»Du kannst es dir nicht vorstellen. Sie buddelte den ganzen Tag in der Erde herum und pflanzte wie verrückt, überall um das Haus herum grünte und blühte es, und Rosa war glücklich. Aber jede Blattlaus brachte sie um den Verstand.
Die Rosen waren befallen und die Tomaten, Millionen von kleinen grünen Raupen fraßen die Eichenblätter, und die Bäume gingen ein. Aber am allerschlimmsten waren die großen weißen Nester der Prozessionsraupen, die die Nadelbäume vernichten und überhaupt hochgefährlich sind. Rosa schüttete Unmengen von Knoblauch-Zwiebelwasser auf die Pflanzen – ohne Erfolg. Also bin ich zum Consorzio gefahren und hab Insektenvernichtungsmittel gekauft. Zwei Kanister. Was blieb mir denn auch anderes übrig?«
Sarah nickte. Enzo ordnete die Gummistiefel im Regal und schichtete das Holz, während er sprach. Er sah Sarah dabei nicht an, es war als rede er zu sich selbst.
»Einer der beiden Kanister war kaputt. Er leckte. Ich wollte nicht, dass das ganze Zeug auslief, und hab das Insektenvernichtungsmittel in Mineralwasserflaschen abgefüllt, Sarah. Ich hab es verdammt noch mal in diese Scheißflaschen abgefüllt, und dann bin ich ins Wohnzimmer gegangen und hab Klebezettel gesucht, um die Flaschen zu beschriften. Aber ich hab keine gefunden. In Rosas Schreibtisch waren nur uralte Zettel, die lösten sich andauernd wieder ab. Na ja, dachte ich, ist ja nicht so wild, das mache ich morgen. Ich wollte ihr noch sagen, dass sie vorsichtig sein soll, aber auch das hab ich vergessen. Irgendetwas Blödes ist dazwischen gekommen, sie hat mir irgendwas erzählt, ich weiß es einfach nicht mehr, jedenfalls hab ich nichts gesagt.«
Enzo hörte auf mit der Räumerei, lehnte sich an seine Werkbank und sah Sarah an.
»Wenn es mit dem Teufel zugeht, dann kannst du nichts machen. Das
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