Hexenkind
nicht genug Ruhe zum Malen und nicht genug Platz. Hier kannst du dich zurückziehen. Hier ist alles, was du brauchst.«
Was Enzo sagte, stimmte. Im Winter nach Edis Unfall hatte sie ihre Depressionen und Schuldgefühle mit Malen bekämpft. Seither malte sie für Edi, vorwiegend Kaninchen. Er freute sich unbändig über die Bilder, konnte sich gar nicht sattsehen, und Sarah gewann wieder einen Teil ihres Selbstbewusstseins zurück. Sie hatte endlich eine Aufgabe, die ihr Spaß machte und sie ausfüllte. Ihre Staffelei hatte sie vor dem Schlafzimmerfenster aufgebaut. Dieser Platz war alles andere als optimal, das Zimmer sah chaotisch aus wie ein wüstes Atelier, und abends wenn sie ins Bett gingen, roch der ganze Raum nach Farben, Terpentin und Nitroverdünner, aber so hatte sie wenigstens Licht und ein bisschen Ruhe.
Enzo hatte völlig recht: Zum Malen wäre dieses Haus das Paradies.
»Du sagst ja gar nichts.«
»Oh Enzo!« Sie nahm ihn in den Arm und drückte ihn ganz fest an sich. »Ich kann es nicht glauben.«
»Ach was. Das ist keine große Sache. Mach es dir gemütlich. Richte dich ein, wie du willst. Es wäre schön, wenn du hier glücklich wirst. Und jetzt lass uns fahren, ich brauche unbedingt einen doppelten Espresso.«
Als sie zum Auto zurückgingen, fragte Sarah. »Du sagst, du hast in diesem Haus mit deiner Frau gewohnt?«
Enzo nickte stumm.
»Was ist mit deiner Frau passiert? Ist sie tot?«
Enzo nickte erneut und presste die Lippen aufeinander, sodass sein Mund aussah wie ein schmaler Strich.
»Du willst nicht darüber reden?«
»Nein«, sagte Enzo leise. »Ich will nicht darüber reden. Es ist eine schlimme Geschichte. Ich habe jahrelang nicht mehr daran gedacht, und ich will jetzt nicht wieder damit anfangen.«
Sarah legte eine Hand auf seinen Arm und drückte ihn sanft. Bis Montefiera in Sicht kam sprachen sie kein Wort. Dann sagte Sarah leise: »Danke, Enzo, mille mille grazie. Ich bin so glücklich, das kann ich dir gar nicht beschreiben.«
Sie beugte sie sich zu ihm hinüber und küsste ihn auf die Wange.
Als sie vor der Trattoria hielten, stand Teresa schon am Fenster und wartete auf sie. »Was habt ihr denn um diese Zeit im Wald gemacht?«, fragte sie vorwurfsvoll.
»Eine kleine Spazierfahrt.« Enzo parkte den Jeep, sah Teresa nicht an und schickte sich an, ins Haus zu gehen. Die Zeit reichte Teresa, um aus dem Haus zu kommen und sich in der Tür aufzubauen.
»Ach was, eine kleine Spazierfahrt? Einfach so? Wohin denn?«
Enzo blieb erbost stehen. »Musst du eigentlich alles wissen? Gibt es nichts auf dieser Welt, wo du deine Nase nicht hineinsteckst? Muss ich dir über jede Minute meines Lebens Rechenschaft ablegen?«
Teresa lächelte spitz. »Ihr wart bei Enzos Haus, stimmt’s? Hat er es dir endlich gezeigt?«
»Er hat es mir geschenkt.« Sarah wusste, dass sie Teresa provozierte, aber das war ihr egal. Teresas eigener Auftritt war schon eine einzige Provokation.
»Santo cielo!«, kreischte Teresa, was so viel hieß wie ›ach, du lieber Himmel!‹, »will er dich jetzt auch noch ins Unglück stürzen?«
»Halt den Mund, Teresa!« Enzo war krebsrot vor unterdrückter Wut.
»Warum? Weiß sie nicht, was in dem Haus passiert ist? Willst du es vor ihr geheim halten? Das Haus ist verflucht, und das muss sie wissen, Enzo!«
»Ich will es gar nicht wissen.« Sarah wurde immer unbehaglicher zumute. »Lasst uns reingehen und einen Kaffee trinken.«
»Enzo steckt immer am liebsten den Kopf in den Sand«, stänkerte Teresa weiter, als das Wasser in der Espressomaschine blubberte. »Er will einfach nicht der Realität ins Auge sehen, und er steht nicht zu dem, was er getan hat. Das ist das Problem.«
»Stai zitto e chiudi il becco!«, zischte Enzo. »Sei still und halt die Klappe! Es ist vorbei. Was geschehen ist, ist geschehen, und niemand kann es mehr rückgängig machen.«
»Sarah gehört jetzt zur Familie. Sie muss die Geschichte erfahren, sie muss wissen, was in der Küche geschehen ist, in der sie sich in Zukunft ihren Kaffee kochen wird. Das ist alles. Wir unterhalten uns ja nicht auf der Piazza, wir sind hier unter uns.«
Die Espressi waren fertig, und Teresa stellte vor jeden eine Tasse. Sie hatte einen engelsgleichen gütigen Zug um den Mund, der Enzo wahnsinnig machte.
»Enzo und seine Frau Rosa wohnten in dieser gottverlassenen
Hütte im Wald und waren bereits fünf Jahre verheiratet, als …«
»Teresa, ich warne dich!«
»Wenn Enzo nicht will, dass ich die
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