Hexenkind
Richtung Duddova. Nach ungefähr zwei Kilometern bogen sie links ab, als die Straße sich teilte. Der Weg war holprig, und Sarah merkte, dass Enzo Schmerzen im Rücken hatte. Er klagte in letzter Zeit immer häufiger über Probleme mit der Bandscheibe. Hinter einem verlassenen Haus mit zugemauerten Fenstern wurde die Straße nahezu unerträglich. Sie bestand fast nur noch aus Schlamm, und obwohl Enzo sehr langsam fuhr, hatte er den Jeep kaum unter Kontrolle. Mehrmals rutschte der Wagen dem Abhang bedrohlich nahe.
»Vielleicht hätten wir mit der Tour noch eine Weile warten sollen, bis das Wetter beständiger und die Straße ein bisschen trockener ist«, meinte Sarah vorsichtig. Sie fürchtete sich schon vor der nächsten Kurve.
»Vielleicht«, antwortete Enzo einsilbig und konzentrierte sich wieder auf den rutschenden und schlingernden Wagen. Nach ungefähr fünfhundert Metern kam eine Steigung, die schon recht gut abgetrocknet war, und Sarah entspannte sich etwas. Am Ende der Steigung bog Enzo so scharf rechts ab, dass er mehrmals rangieren musste, um die Kurve zu bewältigen. Der Weg, in den er jetzt hineinfuhr, war vollkommen zugewachsen und äußerst eng. Zweige und Äste schlugen gegen die Fenster, lange dornige
Pflanzenfäden verhedderten sich hinter dem Scheibenwischer, Steinbrocken und ganze Baumstämme lagen im Weg, die Enzo erst laut fluchend mit seiner Kettensäge zerkleinern und dann wegschaffen musste.
»Hier ist ja Jahre keiner mehr langgefahren«, bemerkte Sarah leise.
Unvermittelt hörte der Weg auf und endete im Dickicht. Enzo hielt an und stieg aus. Dann nahm er Sarahs Hand. »Komm, jetzt müssen wir uns zu Fuß durchschlagen.«
»Sag mir doch um Gottes willen erst mal, wo wir überhaupt hingehen!«
»Das wirst du gleich sehen.«
Es war beschwerlich, sich durch den Wald zu arbeiten, da es keinen Weg, noch nicht mal einen Trampelpfad gab, dem man folgen konnte. Aber Enzo orientierte sich problemlos an alten Bäumen, zugewucherten Steinterrassen oder auch jungen Büschen, die sich dort ausgesamt haben mussten, wo früher mal eine Straße war. Ab und zu schlug er den Weg mit seiner Penata frei.
Nach zehn Minuten tauchte vollkommen überraschend und unvermittelt plötzlich vor ihnen aus dem Dickicht der Teil eines Daches auf.
»Madonna!«, rief Sarah, »was ist das denn?«
Enzo antwortete nicht, bis sie näher kamen und ein Haus in seiner ganzen Größe vor sich liegen sahen.
»Das ist es«, sagte er. »Das ist mein Haus. Hier habe ich mal gewohnt. Mit meiner ersten Frau.«
Sarah sah ihn ungläubig an. »Warum hast du nie was davon erzählt? Ich bin jetzt schon zehn Jahre hier und habe noch nie von diesem Haus gehört! Auch Teresa oder Romano haben nie was gesagt.«
»Ich wollte, dass es vergessen wird. Ich wollte, dass sich niemand mehr daran erinnert, es sollte einfach nicht mehr existieren.«
Er zog einen einzelnen Schlüssel aus der Hosentasche und schloss die Tür auf. Abgestandene, feuchte Luft schlug ihnen entgegen. »Ich war selbst Jahre nicht mehr hier«, meinte er beinah entschuldigend.
Enzo öffnete das von Spinnennetzen verklebte Küchenfenster und die Fensterläden. Durch Tür und Fenster kam genug Tageslicht, sodass man alles in der kleinen Küche gut erkennen konnte: den noch mit Holz zu heizenden alten Herd mit Messinggriffen, die steinerne Spüle, den alten Küchenschrank mit geschliffenen Glasfensterchen und als absolute Besonderheit die naturbelassene Felswand, die vor Feuchtigkeit glänzte und die Rückwand des Hauses bildete.
Sarah sah sich das ganze Haus in Ruhe an. Das kleine Schlafzimmer mit dem stabilen Holzbett, das Enzo selbst gezimmert hatte, das Wohnzimmer mit dem derben Holztisch, das Bad mit dem geblümten Emaillewaschtisch und der steinernen Wanne.
Als Sarah alle Räume gesehen hatte, stand sie eine Weile am Fenster und blickte hinaus in den Wald. In ein Meer von Grün. Die Bäume standen so dicht, dass kaum ein Sonnenstrahl das Haus erreichte.
»Das ist ein Hexenhaus, Enzo.« Enzo zuckte zusammen. »Ein wunderschönes Hexenhaus. Absolut faszinierend. Warum nutzt du es nicht? Oder du könntest es verkaufen? Es ist so schade, wenn ein Haus leer steht. Es geht kaputt, es verfällt, und die Natur holt es sich zurück.«
»Es ist für dich, Sarah. Ich schenke es dir.«
Sarah starrte ihn fassungslos an. Ihr wurde heiß, sie wusste partout nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte.
»Ich versteh nicht«, stammelte sie unsicher.
»Du hast in Montefiera
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