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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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davongerissen zu werden, wenn ihn zum ersten Mal eine weibliche Hand berührt.
    Irgendwann nahm sie ihn an der Hand und zog ihn die Treppe hinauf. Er sah die Bilder auf der Staffelei, die in den letzten Tagen entstanden waren. Sie löschte das Licht.
    Im Bett gebärdete sie sich so hemmungslos, wie er es bei ihr in Montefiera im ehelichen Schlafzimmer noch nie erlebt hatte. Er fühlte sich wie ein Ehemann und heimlicher Liebhaber zugleich. Und sie war für ihn eine beinah fremde Frau, die ihn rasend machte. Er versuchte sich zu beherrschen, musste an sich halten, um sie nicht zu erschrecken und nicht über die Stränge zu schlagen.
    Und er glaubte fest daran, sie glücklich zu machen.
    Romano liebte die erotischen Abenteuer in ihrer kleinen, heimlichen Hütte. Er wollte diese Nächte nicht missen, aber er fühlte sich schäbig dabei und überraschte sie nicht mehr. Wenn er sie besuchen wollte, rief er vorher über Handy an, oder sie verabredeten sich im Casa della Strega wie ein Liebespaar zum heimlichen Treffen in einem Hotel.
    Endlich hatte Sarah den Freiraum, den sie brauchte.

42
    Sarah lag auf der Terrasse in Montefiera in der Hängematte und döste, als gegen fünf überraschend Marisa aus Rapale zu Besuch kam. Sie hatte Marisa vor drei Jahren bei einer Gruppe deutscher Frauen kennengelernt, die sich einmal im Monat traf, um Erfahrungen über das Leben in der Toskana auszutauschen. Bei diesen Treffen hatten sie sich angefreundet und sahen sich in unregelmäßigen Abständen auch außerhalb dieser Gruppe.
    Marisa hatte Ricciarelli, weiche ovale Marzipankekse, mitgebracht, da sie wusste, dass Sarah für dieses Gebäck alles stehen und liegen ließ, obwohl sie Süßem sonst eher desinteressiert gegenüberstand.
    Marisa lebte seit zwanzig Jahren in Italien. Sie war dreiundsiebzig und seit zwei Jahren Witwe. Ihr Mann Salvatore hatte ahnungslos, vergnügt und völlig schmerzfrei in einem hoffnungslos verkrebsten Körper gelebt. Als er wegen Kreislaufproblemen zur Beobachtung ins Krankenhaus kam, blieben ihm noch drei Tage. Bis zu seinem letzten Atemzug glaubte er daran, mindestens hundert zu werden und die momentane Unpässlichkeit schnell überwinden zu können. Der Tod kam für ihn so überraschend, dass er noch nicht einmal Zeit hatte, sich von Marisa zu verabschieden, die am Bett saß und seine Hand hielt. Er lächelte und starb.
    Und genauso lebte Marisa weiter. Lächelnd und immer fröhlich. »Ich will nicht, dass er noch nachträglich sauer auf mich ist, wenn er von seiner Wolke aus sieht, dass ich Trübsal blase«, erklärte Marisa. »Wir waren zusammen immer vergnügt, und so soll es bleiben. Und wenn ich zu ihm gehe, was ja so wahnsinnig lange nicht mehr dauern kann, werden wir zwei da weitermachen, wo wir aufgehört haben.«
    Marisa war – obwohl alles andere als übergewichtig – eine unverbesserliche Naschkatze. Süßes verschlang sie in jeder Form, in jeder Art und zu jeder Tageszeit.
    Und zum nachmittäglichen Kaffee war sie nicht gern allein. Da vermisste sie ihren Salvatore – Gott hab ihn selig – wirklich.
    So saßen Marisa und Sarah auf der Terrasse und tranken Kaffee. Romano arbeitete zusammen mit einem Klempner in der Trattoria, weil der Abfluss der Geschirrspülmaschine verstopft war. Marisa erzählte Sarah gerade den neusten Witz, den sie sich merken und Salvatore zu gegebener Zeit auf der Wolke erzählen wollte, als es passierte. Sarah biss in den süßen Keks und spürte einen stechenden Schmerz, der ihr in den Kopf fuhr, bis hinauf zu den Augen. Sie schrie auf und sah Marisa entsetzt an, weil der Schmerz anhielt und der Zahn sich nicht beruhigte.
    Enzo bot sich an, auf Edi und Elsa aufzupassen, und Marisa fuhr Sarah sofort nach Arezzo zu einem befreundeten Zahnarzt. Seit Sarah in Italien war, hatte sie noch nie Probleme mit den Zähnen gehabt und war froh über Marisas Empfehlung. »Er ist ein Deutscher«, sagte Marisa grinsend, »und für mich der beste Zahnarzt der Welt.«
    Er war eine Erscheinung, als er ins Behandlungszimmer kam. Der weiße Kittel korrespondierte perfekt mit seinen
weißen, leicht gewellten Haaren und seinem immer noch sehr jugendlich wirkenden Gesicht. Sarah schätzte ihn auf fünfundvierzig, keinen Tag älter.
    Sie kam sich klein und hilflos vor, als sie ihn vom Zahnarztstuhl aus in der Waagerechten liegend begrüßen musste. Als er ihr die Hand gab, mit einem leichten Fußtritt die Position des Stuhls korrigierte und sich dann über sie beugte, um den

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