Hexenkind
Ohr fest an den Kopf drücken konnte. Manchmal träumte er nachts davon, dass es einfach kleben blieb und er plötzlich aussah wie ein normaler
Mensch und nicht wie der Mäuserich aus einem albernen Comic.
In der Mittelkonsole stand eine Flasche Mineralwasser. Unwillkürlich fixierte er sie und überlegte noch, die Frau zu fragen, ob er einen Schluck trinken dürfe, als sie auch schon sagte: »Wenn du Durst hast, kannst du gerne etwas trinken. Ich habe hinten in meiner Tasche noch mehr.«
Francesco trank die Flasche in einem Zug aus und konnte kaum atmen, als er fertig war.
»Donnerwetter«, meinte sie und lächelte.
»Was hältst du von einer kleinen Spazierfahrt?«, fragte sie plötzlich. »Das Wetter ist einfach zu schön, ich habe noch ein bisschen Zeit und du?«
»Ich auch«, stotterte er ohne zu überlegen.
In Levane bog sie rechts ab und fuhr in die Berge Richtung Arezzo.
»Wie heißt du?«
»Francesco.«
»Was für ein schöner Name.«
So etwas hatte noch nie jemand zu ihm gesagt. Francesco spürte, wie er rot wurde.
»Wolltest du gerade nach Hause?«
Francesco nickte.
»Warst du bei Freunden?«
Francesco nickte. »Beim Fußball. Ich spiele in der società calcistica di Bucine.« Er war ganz stolz darauf, aber es schien die Frau nicht weiter zu interessieren, denn sie reagierte nicht darauf.
Jetzt bog sie von der Hauptstraße ab und fuhr in Richtung Civitella.
»Wo fahren Sie hin?«
»Ich weiß noch nicht«, sagte sie freundlich. »Irgendwohin, wo es schön ist.«
Allmählich bekam Francesco ein unbehagliches Gefühl. »Ich glaube, ich habe doch nicht so viel Zeit.«
»Ach was.« Sie sah ihn an und legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel. »Oder macht sich deine Mutter Sorgen?«
Francesco schüttelte den Kopf. Sein Herz raste. Sie nahm die Hand wieder von seinem Bein und bog unterhalb von Civitella in einen Schotterweg ein. »Ich kenne hier in der Nähe eine phantastische Ruine. Sie steht auf dem höchsten Punkt dieser Gegend, und von dort hat man einen atemberaubenden Blick. Das wollte ich dir zeigen. Und dann machen wir eine kleine Pause und trinken einen Schluck.
»Warum? Sie kennen mich doch gar nicht?«
»Nur so.« Sie lächelte schon wieder, und Francesco fing unwillkürlich an zu zittern. Er hatte vor einiger Zeit zufällig im Spiegel gesehen, wie es aussah, wenn seine riesigen Ohren knallrot waren. Wie zwei aufgeschnittene Blutorangen leuchteten sie neben seinen blassen Wangen, und wenn er vor einem hellen Fenster saß, konnte man sogar die verzweigten Adern sehen wie bei einem geräucherten Schweineohr, das sein Hund hin und wieder zu fressen bekam. Während er sein Ohr gegen den Kopf presste, spürte er, dass es in seiner Hand glühte.
Der Waldweg, den die Frau mit ihrem Wagen regelrecht entlangbretterte, ging zeitweise steil bergauf, dann eine Weile kurvig an einzelnen Gehöften vorbei. Sie fuhr zweimal links, dann wieder rechts und dann eine Weile bergab. Francesco hatte es längst aufgegeben, sich die Strecke zu merken, aber bis zum höchsten Punkt war es sicherlich noch weit.
Hinter einem Weidezaun wendete sie, fuhr querfeldein über eine Wiese und bremste hinter einer verwitterten und mit Brombeeren zugewucherten Natursteinmauer. Sie schaltete den Motor aus, schob die Sonnenbrille hoch, sodass er zum ersten Mal ihre Augen sah, legte ihre Hand auf sein Knie und beugte sich zu ihm. Ihr Gesicht war seinem ganz nah, und er konnte gar nicht anders, er küsste sie. So ist das also, dachte er, so einfach.
Mittlerweile stand sein ganzer Körper in Flammen.
Mit gekonntem Griff zog sie an einem Hebel auf seiner Seite, sodass der Sitz nach hinten krachte und er fast zum Liegen kam. Dann küsste sie ihn wieder. Länger und leidenschaftlicher als vorher und fuhr währenddessen mit der Hand sanft über seinen Kopf, sein Gesicht, seine Brust und seine Beine und zog schließlich den Reißverschluß seiner Hose auf.
Francesco bebte. Er schloss die Augen und hatte zum ersten Mal in seinem Leben seine Nase und seine abstehenden Ohren vollkommen vergessen.
»Wo willst du hin?«, fragte sie ihn ungefähr eine halbe Stunde später. »Sag mir die genaue Adresse, ich fahr dich nach Hause.«
Francesco fühlte sich toll, so leicht und glücklich wie schon lange nicht mehr. Aber er schämte sich auch und wagte es kaum, sie anzusehen. Sie stand in der offenen Wagentür und zog sich an, und er sehnte sich danach, sie in den Arm zu nehmen und niemals mehr loszulassen.
»Terranuova
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