Hexenkuss
grässlich.«
Holly fiel Michaels kleines Kästchen mit dem Tee ein. Hatten sie es aus der Limousine mitgenommen?
Das war das Letzte, was sie getan hat - sich dieses Zeug anschauen.
»Schätzchen? Einen Tee?«, drängte Marie-Claire.
»Ja. Danke«, antwortete Holly, aber eher, damit Tante Marie-Claire etwas zu tun hatte, als weil sie Tee wollte.
Ihre Tante ließ sich von Michael Kleingeld geben und trat geschäftig vor die Automaten. Holly setzte sich auf einen Ledersessel, der im rechten Winkel zu dem Sofa stand. Michael faltete die Zeitung zusammen und streckte die Beine aus. Seine Kleidung und die teuren Schuhe waren nass von dem Gewitter, das noch immer draußen tobte.
Er wollte gerade etwas sagen, als eine Frau in einem dunkelblauen Kostüm hereinkam. Sie lächelte übertrieben fröhlich und verkündete: »Hallo, ich bin Eve Oxford. Ich bin Sozialarbeiterin hier im Krankenhaus.« Sie setzte sich auf die äußerste Kante des Sessels, der auf der anderen Seite des Couchtisches stand. »Unterhalten wir uns darüber, wo Holly in Zukunft leben wird.«
Zunächst weigerte sich Holly, San Francisco zu verlassen. Sie beharrte darauf, dass sie Barbara nicht im Stich lassen könne, die immer noch im Krankenhaus lag, und dann konnte sie es nicht ertragen, ihre Sachen zu packen. Doch während sich die Tage dahinschleppten, ging ihr auf, dass ihre Tante in Seattle auch ein Leben hatte und dass sie, Holly, Marie-Claire nervös machte, indem sie sie hier festhielt.
Michael Deveraux - so lautete sein voller Name, und er wurde als »Freund der Familie« bezeichnet - war schon am Tag nach der Beerdigung zurück nach Seattle geflogen.
Und jetzt saßen sie und ihre Tante in dem gleichen Flieger, eine gute Woche später.
Hollys Tante hatte in San Francisco alles geregelt. Eine Freundin von Hollys Mutter kümmerte sich um das Haus, und Holly hatte sich von den Pferden im Stall verabschiedet. Da hatte die Besitzerin des Reitstalls, Janet Levesque, ihr erzählt, was sie mit Hollys Eltern vereinbart hatte - sie hatten ihr ein Pferd kaufen wollen, als Geschenk zum Highschool-Abschluss.
Jetzt saß Holly neben ihrer Tante in der First Class, lehnte den Kopf ans Fenster und dachte an all die Träume, die sich nun nie erfüllen würden. Immerhin hatte sie einen Treuhandfonds und würde »sehr gut versorgt sein«, wie der Anwalt ihrer Eltern es ausgedrückt hatte. Wenn sie erst achtzehn war, konnte sie sich fünf Pferde kaufen, wenn sie wollte.
»Holly, möchtest du ein Glas Champagner?«, fragte ihre Tante. Während der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, war Holly aufgefallen, dass ihre Tante dazu neigte, ein bisschen zu viel zu trinken. Holly hoffte, dass das am Stress lag und sie in Seattle nicht weiter so trinken würde.
Holly hätte ihr am liebsten gesagt, dass sie keinen Alkohol trank und es sie nervös machte, wenn ihre Tante so überfürsorglich war. Doch als das hohe Glas mit dem perlenden Champagner gebracht wurde, nahm sie es höflich an, nippte daran...
... und wachte auf, als das Flugzeug landete.
Erschrocken riss Holly den Kopf hoch. Ihre Tante lächelte und sagte über das Dröhnen der Motoren im Landeanflug hinweg: »Hallo, du Schlafmütze. Ich dachte schon, ich müsste dich aus dem Flugzeug tragen.«
Die Maschine setzte auf, die Bremsen quietschten, und ihre Tante wandte sich ihrem Make-up zu. Sie war perfekt geschminkt wie immer, und Holly fragte sich, ob ihre Cousinen ebenso viel Zeit auf ihr Äußeres verwendeten wie ihre Mom. Marie-Claires Handgepäck-Trolley war dick und schwer und enthielt jede Menge neues Make-up, das sie bei Nordstrom am Union Square gekauft hatte. Das Vergnügen, mit dem diese Frau zwischen den Kosmetik-Tresen herumgebummelt war, fand Holly ebenso absurd wie den Kaufrausch, in den Marie-Claire dabei verfallen war. Soweit Holly das beurteilen konnte, hatte sie in San Francisco nichts gekauft, was sie nicht auch in Seattle bekommen hätte - oder auch übers Internet.
Das ist ein Zwang, dachte Holly. Sie kann sich nicht davon abhalten.
Als sie ausstiegen und zur Gepäckausgabe gingen, marschierte ihre Tante so zügig voran, dass Holly kaum Gelegenheit hatte, sich umzuschauen. Sie plauderte leichthin über unbedeutendes Zeug - das schöne Wetter, das Gästezimmer in ihrem Haus, wie sehr Amanda und Nicole sich darauf freuten, Holly kennen zu lernen. Ihr Handy klingelte; es war Onkel Richard. Er hatte gerade den Mercedes geparkt und wartete auf sie.
Holly zuckte zusammen, als jemand
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