Hexenkuss
hedonistische, barbarische Kuh!«
Nicole knüllte dann nur eines ihrer allgegenwärtigen, bauchfreien Tops zusammen und warf damit nach ihr. »Du bist doch bloß neidisch, weil du nicht so gut aussiehst wie ich.«
»Oh, bitte .«
Holly gefiel die Veränderung. Die beiden gingen viel entspannter miteinander um. Ja, mit Amanda und Nicole zusammen zu sein, bewies ihr allmählich, dass eine Schwesternschaft mehr als mächtig sein konnte, nämlich auch befreiend und lustig. Die schreckliche Einsamkeit wich langsam zurück, obwohl der Schmerz über den Verlust ihrer Eltern noch so frisch war wie am ersten Tag. Aber hier zu sein, ob es nun regnete oder nicht, ließ die schreckliche Leere weichen, sich ihrer Zukunft ganz allein stellen zu müssen. Ihre Cousinen brachten sie zum Lachen, wenn ihr eigentlich danach zumute war, die ganze Nacht lang Talkshows zu schauen, dabei zu heulen und hin und her zu zappen, bis sie sich regelrecht verrückt machte. Bast und die Katzen ihrer Cousinen waren ebenfalls wunderbar - sie tauchten immer dann auf, geschmeidig und bereit zu einem Spiel, wenn Holly ihre liebe, flauschige Gesellschaft brauchte.
Amanda war glücklich, Nicole war freundlich, und Holly begann zu glauben, dass sie hier ihren Platz gefunden hatte.
Familie.
Nicole drängte sie immer wieder, Bast ihre Geheimnisse anzuvertrauen, und wollte ihr unbedingt helfen, »einen Jungen zu bekommen«. Holly war in Nicoles Zimmer jetzt jederzeit willkommen. Es war in Schwarz mit silbernen Monden dekoriert, dazu eine Menge Theaterposter und ein signiertes Bild von Winona Ryder. Als sie wieder einmal dort abhingen, rümpfte Nicole die Nase und verzog das Gesicht, als wollte sie dem, was sie gleich sagen würde, den Stachel nehmen.
»Versuch es bloß nicht bei Eli. Wir werden uns zusammen ein neues Leben aufbauen, sobald wir aus dem Gefängnis entlassen werden.«
»Eli. Bäh«, sagte Amanda. »Kommt gar nicht in Frage. Also, ich gehe jetzt schlafen.«
»Ich sollte auch ins Bett«, schloss Holly sich an.
Als sie vom Bett glitt, tapste Bast herein. Hecate wand sich aus Nicoles Armen, hüpfte vom Bett und begrüßte sie. Sie rieben die Nasen aneinander, drehten sich dann um und trabten zusammen hinaus.
»Wahrscheinlich wollen sie irgendwo in Ruhe deine Zukunft planen«, sagte Nicole zu Holly. »Also dann, gute Nacht.« Sie lächelte ihre Schwester und ihre Cousine an.
»Halt morgen früh nicht wieder den Betrieb auf«, warnte Amanda Nicole und stand ebenfalls auf. »Und hinterlass nicht so eine Sauerei im Bad.«
»Moi?« Nicole klimperte mit den Wimpern.
Amanda warf ihr einen strengen Blick zu.
Draußen auf dem Flur verdrehte Amanda die Augen. »Herrgott, sie macht mich wahnsinnig. Pass auf, wir kommen ihretwegen doch wieder zu spät.« Sie zuckte mit den Schultern und lächelte, und Holly sah nichts von dem schmerzenden Stachel, der die Beziehung zwischen ihren Cousinen so lange vergiftet hatte. »Wenn du heute Abend zu deiner Katze betest, bitte sie doch darum, Nicole ausnahmsweise pünktlich sein zu lassen. Wenn ich noch ein Mal zu spät zum Sportunterricht komme, wird dafür meine Note gesenkt.«
»Wie peinlich«, bemerkte Holly.
»Wie dämlich. Ich komme nicht an eine gute Uni, wenn mein Notendurchschnitt nicht reicht. Das lasse ich nicht zu, schon gar nicht wegen so einem Unsinn, wie bei null Grad fünfundvierzig Minuten lang im Kreis herumzulaufen.« Sie verzog das Gesicht. »Ich hätte es früher kapieren sollen, wie Nicole. Dann hätte ich Modern Dance genommen oder
so.«
Holly schnitt eine Grimasse. »Ich steh nicht so darauf, so zu tun, als wäre ich ein tanzender Baum im Wind.«
Amanda lachte. »Tja, immerhin gibt ihr das noch eine Möglichkeit, von allen Aufmerksamkeit zu fordern.« Sie sagte das in gutmütigem Tonfall. »Und in diesem fröhlichen Sinne bonne nuit, wie das bei uns heißt.«
Holly spürte einen Stich. Ihr Vater hatte ihr immer auf Französisch »Gute Nacht« gewünscht. Vielleicht war das eine Familientradition und kam von ihren französischen Wurzeln. Da ist so vieles, was ich über meine Eltern nicht weiß. Und vielleicht nie erfahren werde. Ich sollte Marie-Claire bitten, mir mehr über Daddys Kindheit zu erzählen.
»Bonne nuit«, sagte sie zu ihrer Cousine und ging in ihr Zimmer.
Ihr taubes Kätzchen huschte hinter ihr herein. Holly holte tief Luft, schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Sie blickte sich im Zimmer um und wartete ab, ob die Katze irgendwie ausflippen würde. Immer noch
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