Hexenkuss
geschahen merkwürdige Dinge in diesem Zimmer. Die Schranktür schwang gern mitten in der Nacht auf. Die Bodendielen knarrten. Und der Katze, die nichts hören konnte, gefiel das alles überhaupt nicht.
»Na, meine kleine Katzengöttin«, neckte sie Bast, während sie aufs Bett zugingen. »Hier ist meine Wunschliste: pünktlich zur Schule kommen, heute Nacht gut schlafen, und...« Sie verstummte, denn sie schämte sich sogar vor der Katze für ihre alberne Sehnsucht, Jer bald wiederzusehen. »Das ist alles«, schloss sie.
Die Katze miaute und zwinkerte mit ihren großen blauen Augen. Sie war so klein und zierlich, dass ihr Gesicht aus kaum mehr bestand als den Augen, einem winzigen, geschwungenen Mäulchen und der kleinen Nase.
Holly hob sie hoch und flüsterte an ihrem Hals: »Oh Gott, ich vermisse Mom und Dad so sehr. Ich vermisse Tina. Das sollte doch unser tollstes Jahr werden.«
Die Katze schnurrte und streckte die rechte Vorderpfote aus. Das war eine so menschliche Geste des Trostes, dass Holly nicht einmal darüber lächeln konnte. Das Kribbeln in ihrem Magen wurde zu einem harten Knoten. Unausgesprochene Trauer schnürte ihr die Kehle zu, und sie dachte: Wie lange werde ich mich so elend fühlen? Und werde ich sie den Rest meines Lebens so sehr vermissen?
Taps, taps, Basts Vorderpfote berührte ihren Handrücken. Sie kuschelte sich an und leckte Hollys Unterarm, und Holly ließ sich aufs Bett sinken.
Sie konnte nicht schlafen. Sie tippte im Rhythmus des trommelnden Regens an der Fensterscheibe mit den Fingern auf die Decke. Als sie gerade eindöste, glaubte sie leises Flüstern vor der Tür zu hören. Vielleicht eine meiner Cousinen. Vielleicht möchte Amanda sich noch mal mit mir unterhalten...
Holly gähnte und schlug die Augen auf.
Sie blinzelte.
Schlafwandle ich?
Sie stand auf dem Treppenabsatz oberhalb des Wohnzimmers. Sie trug ihr Nachthemd, und sie blickte auf Nicole und Marie-Claire hinab, die auf der steinernen Einfassung des großen offenen Kamins saßen. Sie trugen Bademäntel. Nicoles war feuerwehrrot, Marie-Claires schwarz.
Neben ihnen lagen mehrere Bündel dünner Stäbchen oder Zweige. Nicole nahm eines davon auf, küsste es und reichte es ihrer Mutter.
Marie-Claire führte das Bündel über das warme, knisternde Feuer hinweg und sagte: »Oh Göttin, gewähre Amanda, was ihr Herz sich wünscht. Möge ein guter junger Mann sie wahrhaft lieben, und möge sie ihre eigenen Talente und Gaben entdecken.«
Holly war verblüfft. Was machen sie da? Üben die tatsächlich so einen Wicca-Kram aus? Meine eigene Tante?
»Sei gesegnet«, sagte Nicole mit lieblicher Stimme.
»Oh Göttin, gewähre Holly, was ihr Herz sich wünscht. Möge ihr Leben bei uns leicht und voller Freude sein, geborgen in der Wärme dieser Familie.«
Verstehen sie sich deshalb auf einmal so gut?, dachte Holly schockiert. Sie haben sich ... selbst verzaubert?
»Und schickere Klamotten«, fügte Nicole kichernd hinzu. Ihre Mutter warf ihr einen strengen Blick zu. Nicole räusperte sich und murmelte: »Sei gesegnet.«
Marie-Claire legte das Bündel hin und sagte: »Jetzt du.« Sie beugte sich vor und küsste Nicole auf die Stirn.
Nicole reichte ihr ein weiteres Bündel.
»Oh Göttin, gewähre meiner schönen Nicole, was ihr Herz sich wünscht. Ruhm auf der Bühne und Liebe in ihrem Leben.«
»Das ist toll, Mom«, sagte Nicole. »Du lernst schnell.«
»Es ist unglaublich«, schwärmte Marie-Claire begeistert. »Wer hätte das je gedacht?«
Holly war wie gebannt. Doch dann, als Mutter und Tochter die gebündelten Stöckchen aufhoben, streifte etwas Hollys Knöchel. Ihr stockte der Atem, und sie drehte sich um.
Die drei Katzen - Freya, Hecate und Bast - hatten sich um Hollys nackte Füße versammelt. Mit gelben Augen blickten sie zu ihr auf. Keine von ihnen rührte sich; sie saßen ganz still, als hätten sie furchtbar gern mit ihr gesprochen. Als wollten sie zu ihr sagen: Sei gesegnet.
Dann öffnete Bast den Mund und sagte mit einer absolut menschlichen Stimme: »Ich werde Euch dienen, Holly Cathers...«
Holly schoss hoch und blinzelte ins Sonnenlicht, das durch das Fenster des Gästezimmers fiel.
Es war ein Traum, dachte sie. Die Träume sind wieder da.
Bast, die am Fußende ihres Bettes saß, starrte sie an und begann zu schnurren.
In der Kammer, im schwarzen Herzen des Hauses Deveraux, huldigten Eli und Michael dem Gehörnten Gott. Michael hatte ein Dutzend Falken geschlachtet, Symbole des Hauses Cahors, und
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