Hexenkuss
Konflikt: Er wusste, dass er Hilfe brauchte, um seiner Familie etwas entgegenzusetzen, aber er war nicht sicher, ob er sich an Kari hätte wenden dürfen. Selbst Eddie und Kialish hatten für ihn ein Fragezeichen. Bei der Magie der Schamanen ging es eher um die Seelenreise. Die Magie seiner Familie - Schwarze Magie - drehte sich darum zu bekommen, was man wollte, ganz gleich, wem man damit schadete.
»Sie sieht ganz okay aus, Mann.«
Karis Arm schlang sich fester um Jers Taille. Sie fand das alles großartig - sie war gestern Nacht im Bett völlig wild gewesen, nachdem er dieses Gebüsch in Brand gesteckt hatte.
So soll es ja auch sein, dachte er bitter, wenn man meinem Bruder Glauben schenkt. Magie und ein tolles Sixpack, und du kriegst jede Frau.
»Ich muss allein sein«, erklärte er abrupt. »Ich muss mich vorbereiten.«
»Vorbereiten«, wiederholte Kari langsam.
Er nickte und löste sich von ihr. Sie wirkte verletzt. Das war ihm gleich; er konnte kein Mitgefühl für sie aufbringen. Falls es ihr in dieser Sache um irgendjemanden ging, dann um sie selbst. Für sie war das alles ein Spiel, etwas, das sie lernen und selbst beherrschen wollte. Aber jemandem helfen? Jemanden beschützen? Diesen Sprung hatte sie noch lange nicht gemacht.
Ich hätte sie nicht mitmachen lassen sollen, dachte er. Aber für einige der Zauber, die er plante, brauchte er eine Mann-Frau-Verbindung.
Er blickte wieder den Hügel hinab und fand problemlos Holly und Amanda - Nicole nicht. Marie-Claire führte die beiden zum Auto, und ihre Hände bewegten sich wie Kolibris.
Sie sieht so müde aus, dachte Jer, während er Holly beobachtete. So traurig.
Als Holly, ihre Tante und Amanda die Stufen der Hill Highschool hinunter zu dem Mietwagen gingen - der Mercedes ihrer Tante war in der Werkstatt, weil die Bremsen überprüft werden mussten -, hörte Holly einen Vogel kreischen. Erschrocken blickte sie auf und hörte nicht mehr, was ihre Tante gerade sagte.
Ein schwarzer Vögel schwebte etwa sieben Meter über ihr in der Luft und starrte auf sie herab. Selbst aus dieser Entfernung erkannte sie deutlich den scharfen, gekrümmten Schnabel, die gebogenen Klauen... und die Augen.
Sie schienen sie anzustarren... sie funkelten sie regelrecht an, sie, Amanda und Marie-Claire.
Ihre schwatzende Cousine und ihre Tante bemerkten nicht, dass Holly einen Schritt zurückwich. Unwillkürlich wurde ihr Blick tiefer gezogen.
Jer.
Er stand auf dem Hügel auf der anderen Straßenseite. Ein Mädchen klammerte sich an ihn, und zwei Jungen standen daneben. Die anderen beobachteten den Vogel.
Jer beobachtete sie.
Ihr wurde heiß. Sie schluckte, wandte den Blick ab und fragte sich, was er da tat.
»Amanda«, sagte sie leise. »Amanda, schau.«
»... mit Tommy in Chemie!«, sagte Amanda lachend.
»Ach du meine Güte«, entgegnete Tante Marie-Claire und sah Holly an. »Da hat Mr. Boronski ja alle Hände voll zu tun. Also, ich bin froh, dass es für euch beide ein guter Tag war. Wo habe ich nur den Autoschlüssel hingesteckt?«
Über ihnen stieß der Vogel ein lautes Krächzen aus, schlug dann mit den großen Flügeln und schwebte davon.
Holly sah ihre Tante an und sagte: »Entschuldigung, wie bitte?«
Auf dem Hügel drehten Jer und die anderen sich um und gingen davon. Holly zupfte Amanda am Ärmel und wies mit einem Nicken zum Hügel.
Amanda blickte auf. Sie sah die vier, warf Holly einen Blick zu und raunte: »Das ist Kari, die da bei ihm ist.«
Marie-Claire hatte von all dem nichts mitbekommen. Sie lächelte und sagte: »Da ist er ja!« Sie zeigte ihnen den Schlüssel an einer Kette, mit einem Plastikschild, auf dem SEATTLES NUMMER 1 FÜR BREMSEN stand.
»Und ab geht's nach Hause, sicher und bequem«, sagte sie.
Holly stieg in den Wagen.
»Das war ein Bussard«, sagte Kialish, während Jer und die anderen vom Hügel stiegen und zu ihren Autos gingen. »Dein Totemtier.«
Jer sah sich in dem kleinen Kreis um. Sie waren ein merkwürdiger Haufen, um einen geheimen Zirkel zu gründen. Wenige, stolze Außenseiter, die Schwitzhütten-Gefährten. Würde er bei ihnen genug Kraft für sein Vorhaben finden und nutzen können, um Marie-Claire zu schützen? Er konnte es nur hoffen.
»Ich möchte, dass ihr etwas lernt«, sagte er schließlich. »Öffnet euren Geist und eure Herzen und helft mir.« Einen Moment lang konnte er ihrem Blick nicht mehr standhalten. »Das magische Erbe meiner Familie ist... extremer, als ich irgendeinem von euch bisher
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