Hexenkuss
Gemahl, den Erben der Deveraux.
Ich bin verloren, dachte sie in seliger Hingabe. Ich gehöre ihm...
Holly fuhr aus dem Schlaf. Bast leckte sich mit gelassenem Ernst die Pfote, ließ sich dann auf die Seite fallen und starrte Holly an.
»Ich gehöre ihm«, sagte Holly laut. Sie hatte das Gefühl, über dem Bett zu treiben und haltlos von einem Strom mitgerissen zu werden.
»Ich gehöre ihm.«
Dann blickte sie auf den Verband hinab, der ihre Brandwunde bedeckte. Als sie versuchte, sich daran zu erinnern, was genau passiert war, konnte sie es nicht.
War das... war es etwas Übernatürliches?
Bast starrte sie an.
War es... könnte es vielleicht... Magie gewesen sein?
Die Katze begann zu schnurren.
Der nächste Tag zog nass und kalt herauf. Die wilde Halloween-Nacht war vorüber. Dekorationen und Kürbisse trieften im Regen von Allerheiligen. Zu Hause in San Francisco, dachte Holly, würden heute viele Leute den Totentag feiern. Anscheinend war das in Seattle nicht üblich, jedenfalls nicht bei ihren Nachbarn in Upper Queen Anne.
Sie hörte kein Wort von Jer, sah nichts von ihm, trotz allem, was am Abend zuvor passiert war. Holly war am Boden zerstört.
Nach der Schule mussten Tante Marie-Claire und Holly zu einem Rechtsanwalt, um Unterlagen wegen der Vormundschaft zu unterschreiben. Beide waren traurig. Es war ein endgültiger Abschluss.
Marie-Claire hatte sich für den Anlass sorgfältig zurechtgemacht. Sie trug ein dunkles Kostüm, hohe Absätze, ihr typisches, starkes Make-up und Schmuck. Sie sah aus wie die Ehefrau eines Fernsehpredigers.
Holly wollte nicht dorthin. Sie wollte keinen Vormund. Sie wollte ihre Eltern zurückhaben.
Während ihre Tante noch ein paar Anrufe erledigte, machte sie sich auf die Suche nach Amanda, die in ihrem Zimmer ein Buch las. Sie sah blass und sehr müde aus.
Holly schob sich mit schmerzendem Arm herein. Amanda legte das Buch beiseite und beobachtete Holly aufmerksam.
»Also«, sagte sie nervös. »Jetzt gehst du in die Kanzlei und wirst eine Anderson.«
»Nein. Ich werde immer noch eine Cathers sein.«
»Ich glaube... ich glaube, ich bin auch eine Cathers«, entgegnete Amanda mit schwacher Stimme.
Ohne ein weiteres Wort wickelte Holly den Verband von ihrer Hand und hielt sie ihrer Cousine hin.
Amanda drückte ihr Brandmal auf Hollys.
Sie sahen einander an.
»Ich muss dir ein paar Sachen erklären«, stieß Holly hastig hervor. »Ich hatte komische Träume, und es sind ... seltsame Sachen passiert. Und mein Vater... Ich glaube, mein Vater hat sich aus einem bestimmten Grund von Seattle ferngehalten.«
»Wir haben alle unsere Gründe«, erwiderte Amanda langsam, doch es war klar, dass sie hören wollte, was Holly zu sagen hatte.
Hastig, weil sie gleich gehen musste, erzählte Holly Amanda alles, was sie beim Schlafwandeln gesehen hatte, von ihren Visionen... und von Jer.
Und von Nicole und ihrer Mutter im Wohnzimmer.
»Das klingt so verrückt, wenn wir so darüber reden«, schloss Holly.
Amanda nickte langsam. »Verrückt.«
Ihre Tante rief: »Holly?«
»Wir reden darüber, wenn du wieder da bist«, sagte Amanda.
Holly nickte.
Sie ging hinunter. Sie trug ihre schwarze Hose und einen schwarzen Wollpulli von Amanda. Mit Beginn des Novembers war das Wetter von ein bisschen kalt, wie in San Francisco, zu richtig kalt umgeschlagen.
Sie ging zur Haustür und legte die Hand auf den Türknauf in dem Eisdielen-Flur.
Ein Schauer krabbelte ihr den Rücken hinauf. Sag Nein, flüsterte eine leise Stimme. Geh nicht hinaus.
Ihre Tante trat hinter sie, lächelte Holly an und wartete darauf, dass sie die Tür öffnete.
Nicht.
Da Holly nicht wusste, was sie sonst tun sollte, öffnete sie die Tür und trat auf die Veranda.
Sie gingen zusammen die Vordertreppe hinunter.
Holly dachte an Leute, die Vorahnungen hatten und nicht in Flugzeuge einstiegen, die dann abstürzten, oder sich von Gebäuden fernhielten, in denen ein Brand ausbrach, oder sich weigerten, die Tür zu öffnen, wenn draußen ein Serienvergewaltiger lauerte. Dann riss sie sich zusammen. Das war ihre Tante - was sollte sie ihr denn sagen? Dass sie plötzlich ein seltsames Gefühl dabei hatte, sie als ihren Vormund zu akzeptieren?
»Nicole ist wahrscheinlich noch bei einer Probe«, sagte ihre Tante. »Sie wird eine wunderbare tragische Heldin sein « Ihre Augen strahlten. »Ich habe an der Highschool in so vielen Stücken mitgespielt.«
»Das hat sicher Spaß gemacht«, bemerkte Holly schwach.
»Hat es.
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