Hexenkuss
Sie fühlte sich wie steif gefroren, so verängstigt, als hätte ihr gerade jemand gesagt, dass sie nur noch eine Stunde zu leben hatte. Sie sah wieder ihre Cousine an und sagte: »Vielleicht sollten wir deine Freundin mal anrufen. Hast du dein Handy dabei?« Pager und Handys waren auf dem Schulgelände nicht erlaubt.
»Natürlich nicht«, antwortete Amanda verbittert. »Ich bin die Brave. Nicole ist diejenige, die alle Regeln bricht - ich wette, sie würde sogar mit einem Mord ungestraft...« Amanda wurde kalkweiß im Gesicht. »Oh Gott. Nicole.«
Holly starrte sie an. »Amanda, du glaubst doch nicht, dass Nicole das Auto eurer Mutter angezündet hat?« Sie schluckte. »Als ich sie und eure Mom gesehen habe, mit diesen Zweigen oder Stäbchen ... da haben sie gute Sachen gemacht. Sie haben um Glück und Liebe für uns gebeten.«
»Dafür haben wir unsere Katzen«, entgegnete Amanda sarkastisch. Sie biss sich auf den Daumennagel. »Wie lange machen sie das wohl schon, mit den Zweigen und so weiter? Die hatten ja einen richtigen kleinen Geheimbund zu Hause. Was haben sie sonst noch gemacht?«
»Amanda, ich weiß, es verletzt dich, dass sie dich nicht einbezogen haben, aber sie haben wirklich nur Gutes bewirken wollen. Warum sollte deine eigene Schwester versuchen, das Auto deiner Mutter in Brand zu stecken?«
Amanda brach in Tränen aus. »Weil Nicole und ich über Mom und Michael Deveraux Bescheid wissen. Sie schlafen miteinander! Oh Gott, Holly, mein armer Vater. Er weiß es auch, und es bringt ihn um. Also geht er noch mehr arbeiten und verdient noch mehr Geld, damit sie sich ihr ganzes Make-up und ihren dämlichen Schmuck kaufen kann. Manchmal hasse ich sie. Ich würde sie am liebsten umbringen...«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Holly besänftigend. Sie fühlte sich wieder wie in den Stromschnellen, als kämpfe sie darum, nicht zu ertrinken. »Aber du würdest nicht wirklich versuchen, sie zu ermorden, Amanda. Dazu bist du einfach nicht fähig. Und Nicole auch nicht.«
Amanda sank auf eine steinerne Bank und begann zu schluchzen. Holly legte einen Arm um ihre Schultern, und so saßen sie eine Weile nebeneinander. Während Amanda weinte, versuchte Holly, das Ganze zu begreifen. Dass sie sich so sehr zu Jer hingezogen fühlte, all die seltsamen Geschehnisse ... Versuchte Jer etwa, ihnen etwas anzutun?
Aber er hat doch gerade gesagt, er würde nicht zulassen, dass uns etwas passiert.
»Gehen wir«, sagte sie. »Wir schwänzen die Schule und... ich weiß auch nicht, bummeln durchs Einkaufszentrum.«
»Und rufen meine Freundin an«, murmelte Amanda.
»Ja, wir rufen deine Freundin an.«
Sie fanden eine Telefonzelle, aber Amanda stellte fest, dass sie die Nummer nicht dabeihatte, und die Auskunft fand keinen Eintrag für Cecile Beaufrère in New Orleans. Sie nahmen sich vor, in Amandas Adressbuch zu schauen, sobald sie zu Hause waren, aber da konnten sie jetzt nicht hin - eigentlich müssten sie noch in der Schule sein, und Amandas Mutter würde sofort merken, dass sie schwänzten.
»Wenn Mom überhaupt zu Hause ist«, brummte Amanda wütend. Sie begann erneut zu weinen.
Holly versuchte sie abzulenken. In Drogerien gab es immer Sonderangebote, also gingen sie im Einkaufszentrum zuerst zu Rite Aid. Das war ein so alltäglicher, gewöhnlicher Ort - ein bisschen wie die eigene Garage -, dass Holly überzeugt war, hier in Sicherheit zu sein.
In dem Einkaufskorb, der in ihrer rechten Hand baumelte, lagen ein Fläschchen Nagellack und zwei Paar Strumpfhosen, und für den Moment hatte sie die düsteren Probleme um Michael Deveraux, Magie und Tod aus ihren Gedanken verbannt. Als sie auf dem Weg zu den Arzneimitteln in den Gang mit den Haushaltswaren abbog, dachte sie nur an Vitamin C und überlegte, ob sie normales oder gepuffertes kaufen sollte.
Etwas traf sie hart am Hinterkopf.
Erschrocken wirbelte Holly herum, und ein blauer Tupperbehälter landete klappernd auf dem Boden.
»He!«, rief sie empört. »Wer hat den geworfen? Das ist witzig!« Sie wartete, bekam aber keine Antwort - natürlich nicht. Wahrscheinlich irgendwelche Kinder. Die fanden ja manchmal die seltsamsten Sachen lustig. Als sie zwölf gewesen war, hatte sie einmal sämtliche Etiketten von den Dosen im Vorratsschrank ihrer Mutter abgerissen. Damals war ihr das unglaublich witzig vorgekommen, aber inzwischen verstand sie, warum sie dafür eine Woche Hausarrest bekommen hatte.
Sie warf einen letzten finsteren Blick über die Schulter zu den
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