Hexennacht
Trümmern schlagen, ohne daß er es bemerkte, aber Lalo hatte schon lange keinen Auftrag mehr, und wenn er zum Vergnügen malte, war er gewöhnlich alles andere als böse über eine kleine Störung und eine Tasse Tee. Sie rief Latilla, die ihren kleinen Bruder ins Kinderzimmer brachte, dann entfachte sie ein Feuer im Herd und stellte den Kessel auf.
Von Lalo war noch immer nichts zu hören.
»Lalo, Liebster, ich koche Wasser, möchtest du eine Tasse Tee?« Sie runzelte die Stirn, stemmte die Hände in die Hüfte und blickte auf die geschlossene Tür. Dann ging sie hin und öffnete sie.
»Warum antwortest du mir nicht?« Gilla hielt inne. Lalo stand nicht an seiner Staffelei. Einen Augenblick lang meinte sie, er sei nicht da, aber die Tür war unverschlossen. Irgend etwas war anders, der Raum schien ihr merkwürdig verändert. Lalo stand an der gegenüberliegenden Wand, er glich einem Möbelstück. Nach einer Weile erkannte sie, daß er sich, seit sie ins Zimmer getreten war, nicht bewegt hatte. Noch nicht einmal sein Gesicht hatte er ihr zugewandt.
Rasch ging sie auf ihn zu. Er wirkte, als wäre er Schritt für Schritt zurückgegangen, bis die Wand ihn aufgehalten hatte. Seine Hand umklammerte noch immer den Pinsel. Sie entwand ihn seinen Fingern und legte ihn nieder. Lalo bewegte sich noch immer nicht. Seine Augen starrten auf die Staffelei an der gegenüberliegenden Wand. Sie warf einen Blick darauf und sah nur das Gesicht eines Mannes; aus dieser Entfernung fiel ihr nichts Ungewöhnliches auf, dann wandte sie sich wieder Lalo zu.
»Lalo, bist du in Ordnung? Hörst du mich? Allmutter sei gnädig - Lalo, was ist denn los?« Sie umklammerte seinen Arm und schüttelte ihn, aber er gab keine Antwort; ein übles Gefühl von Furcht stahl sich ihr ins Herz und breitete sich dort aus.
Gilla nahm ihn in die Arme und drückte ihn an sich. Sein Körper war warm, sie fühlte sein Herz langsam schlagen, aber mit schrecklicher Gewißheit wußte sie, daß er nicht mehr da war. Sie biß sich auf die Lippe und führte ihn zum Strohlager, auf das sie ihn legte, wie eines der Kinder eine Puppe betten würde.
Kalte Furcht kroch ihr bis in die Fingerspitzen. Sie blieb vor Lalos Lager knien und rieb seine Hände, weniger um seinetwillen als um ihrer selbst. Seine Pupillen waren erweitert, dunkel und blicklos. Als sie den Raum betrat, hatte er nicht auf das Bild gesehen, obwohl sein Gesicht in diese Richtung gewandt gewesen war. Diese Augen waren auf etwas gerichtet, das jenseits dieser Wände lag, vielleicht sogar jenseits von Freistatt, in eine innere Finsternis, in der ein Mensch für immer versinken konnte, ohne je Ruhe zu finden.
Fröstelnd versuchte Gilla seine Augen zu schließen, aber die Lider öffneten sich wieder und enthüllten erneut diesen furchtbar leeren Blick. Sie fühlte, wie ein Schrei sich in ihre Brust stahl und darauf wartete, daß sie sich dem Entsetzen ergab und losbrüllte, aber sie biß die Zähne zusammen und erhob sich.
Hysterie würde ihnen beiden nun nicht helfen. Es war noch Zeit genug, dem Schmerz, der in ihr wuchs, freien Lauf zu lassen, wenn - falls - es für ihn keine Hoffnung mehr geben sollte. Vielleicht war es nur ein seltsamer Anfall, der bald vorüberging, oder eine neue Krankheit, die durch ihre fürsorgliche Pflege bald geheilt sein würde. Oder vielleicht - ein dunkler Gedanke keimte auf, und sie versuchte ihn sogleich - vielleicht war es Zauberei.
»Lalo«, flüsterte sie, als könne ihre Stimme ihn doch irgendwie erreichen. »Lalo, mein Liebster, alles wird gut. Ich hole dir einen Arzt. Ich sorge dafür, daß du wieder gesund wirst!« Sie dachte bereits darüber nach, was als nächstes zu tun sei. Sollte er am nächsten Tag nicht von selbst erwachen, mußte sie einen Arzt finden - Alten Stulwig vielleicht, von seinen Tränken sagte man, daß sie öfter Heilung brachten als jene, die sie schluckten, ins Jenseits zu befördern.
Der Teekessel heulte auf, und sie eilte aus dem Raum, wobei sie mit der Hüfte die Staffelei umriß. Ohne langes Zögern hob sie sie auf und stellte sie in die Ecke - mit dem Bild gegen die Wand.
Lalo blinzelte unsicher durch die düsteren Wolken, die um ihn wogten, ähnlich dem Zauberwind, der im vergangenen Jahr Freistatt verwüstet hatte. Leben war noch in ihm, obwohl der Gestank hier eigentlich den letzten Atem aus der Lunge hätte treiben müssen. Einen Augenblick meinte er, in den Kloaken des Labyrinths zu sein, aber dafür war es hier viel zu
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