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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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das Sofa neben die junge Frau. Sie hielten
gebührenden Abstand und starrten Arved an. Frau Meisen
rückte in die äußerste Ecke des Sofas.
    »Es hat so seltsam geklungen«, sagte sie. Ihre Stimme
war unendlich leise.
    »Was meinen Sie damit?«, fragte Arved.
    »Die Erde auf dem Sarg. So hohl. Als ob er… leer
wäre.«
    Arved konnte nicht verhindern, dass ihm das Blut in den Kopf
schoss. Sollte er es ihr sagen? Nein, er durfte sie nicht noch mehr
entsetzen.
    »Es klingt immer so«, sagte er nur.
    »Was für eine Ungeschicklichkeit von mir, dass ich die
kleine Schaufel fallen gelassen habe«, fuhr sie fort. »Ich
dachte, ich hätte sie fest gepackt. Wissen Sie, vorhin am Grab
kam ich mir so unwirklich vor.«
    Er wagte es nicht einmal, die Beine übereinander zu schlagen,
denn er befürchtete, es würde zu lässig aussehen. Er
legte die Arme auf die Lehnen und strich über das verblassende
Leder des Sessels. Plötzlich wandten sich die beiden Katzen der
Frau zu. Salomé – oder war es Lilith? – fauchte
leise.
    Frau Meisen riss die Augen auf. »Da… da«, stammelte
sie. Sie schaute nicht die Katzen an, sondern hatte den Blick an
Arved vorbei auf das Kopfreliquiar des heiligen Pamphilius
gerichtet.
    Arved drehte sich um und folgte ihrem Blick. Er sah nichts
Außergewöhnliches.
    Frau Meisen schloss die Augen und sagte wie aus weiter Ferne:
»Es hat sich bewegt. Die Augen.«
    Arved sah noch einmal hin. Er glaubte tatsächlich ein
Glitzern in den Augen des Reliquiars zu erkennen. Zwei Farben. Gelb.
Und grün.
    Schon war es wieder verschwunden.
    Offenbar hatte sich das Licht der Deckenlampe darin gespiegelt.
»Ich verstehe nicht…«
    Frau Meisen schrie auf. Beide Katzen fauchten sie an und machten
sich sprungbereit. Die junge Frau schnellte von dem Sofa hoch und
lief wie von Dämonen gehetzt aus dem Zimmer. Arved brüllte
die Katzen an. Er konnte ihren gelben Blick nicht mehr ertragen und
folgte der Witwe.
    Sie war verschwunden.
    Er hatte nicht die Haustür schlagen gehört. War die
junge Frau vielleicht ins obere Stockwerk geflüchtet? »Frau
Meisen?«, rief er, als er in der Halle stand. Niemand antwortete
ihm. Die beiden Katzen waren ebenfalls aus dem Wohnzimmer gelaufen
und saßen nun rechts und links neben der Eingangstür. Sie
schauten sich an und wirkten wie Skulpturen.
    Wie Wächter.
    Arved riss die Haustür auf. Grelles Licht, viel zu hell
für einen Maimittag, flutete herein. Er eilte hinaus auf die
Palmatiusstraße. Dort hinten war sie. Sie lief in Richtung
Alkuinstraße und war schon nach links um die Ecke gebogen.
    Arved lief hinter ihr her, vorbei an dem schönen, gepflegten,
rosafarbenen Haus, das beinahe ein Zwilling seines eigenen war, aber
keineswegs so düster, vorbei an dem verfallenden Stadtpalast,
der Galerie und seinem früheren Zuhause, dem Pfarrhaus von Sankt
Paulin. Hinten in der Alkuinstraße sah er sie. Er setzte ihr
nach, doch bald ging ihm die Puste aus. Seitenstiche zwangen ihn,
stehen zu bleiben. Sie entfernte sich immer weiter von ihm, schien
wie in der Luft zu gleiten und war rasch in der Petrusstraße
verschwunden.
    Als Arved wieder Luft holen konnte, nahm er die Verfolgung noch
einmal auf. Er hastete an dem kleinen Lebensmittelladen vorbei in die
Petrusstraße, doch Magdalena Meisen sah er nirgendwo mehr. Er
wurde wieder langsamer, schlich bis zur Nordallee, aber die junge
Frau war fort. Er hielt sich an einem Laternenpfahl fest. Rechts lag
in einiger Entfernung die Porta Nigra wie eine schwarze Faust
inmitten der Häuser. Touristen schoben sich hin und her. Falls
die junge Witwe noch irgendwo hier steckte, war sie in den
Menschenströmen untergegangen. Arved verfluchte sich. Er hatte
ihr helfen wollen und sie dabei noch tiefer ins Elend gestürzt.
Er hatte alles falsch gemacht.
    Er seufzte. Es hatte keinen Sinn mehr, weiter nach ihr zu suchen.
Sicherlich würde sie früher oder später nach Hause
gehen. Dort wollte er sie abfangen. Also ging er zurück zu
seinem Haus. Nachdem er die Katzen gefüttert hatte, die
inzwischen nicht mehr vor ihm Reißaus nahmen, setzte er den
Wagen aus der Garage und fuhr nach Sankt Matthias.
    Krahnenufer, Johanniterufer, St.-Barbara-Ufer, Pacelliufer, immer
an der Mosel entlang, die vierspurige Durchgangsstraße, bis er
unter der Brückenauffahrt nach Trier-West links abbog. Je
näher er seinem Ziel kam, desto nervöser wurde er. Der
mächtige weiße Turm von Sankt Matthias war wie eine
Warnung, auch wenn er weiß in den blauen Maihimmel ragte.

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