Hexennacht
sich und Schinken in Feigensoße
für Magdalena, und als Nachtisch gab es einen Birnenauflauf mit
grünem Pfeffer. Als Aperitif genossen sie ein Mulsum, einen
römischen, mit Honig gesüßten Würzwein. Die
geringe Menge Alkohol machte die junge Witwe etwas
gesprächiger.
»Ich muss mich unbedingt am Riemen reißen«, sagte
sie, während sie den letzten Tropfen leerte und die Vorspeise
gebracht wurde. »Allmählich erinnere ich mich wieder an Ihr
Haus und die beiden unheimlichen Katzen. Aber ich weiß nicht,
wo ich die Zeit danach verbracht habe.«
»Waren Sie vielleicht bei Ihrer Freundin?«, fragte
Arved, während er das Lorbeerblatt aus dem Weinbrötchen
pulte.
»Nein. Anna hatte ja nicht einmal nach der Beerdigung Zeit
für mich.« Sie schaute auf ihren Teller und begann endlich
zu essen. Es schien ihr zu schmecken. »Und sonst habe ich keine
Freunde oder Freundinnen in Trier. Ich komme aus Augsburg und bin aus
Liebe zu meinem Mann hierher gezogen. Damals habe ich es als Wunder
angesehen, dass ich die Stelle in der Stadtbibliothek bekommen habe,
aber jetzt ist es ein Fluch.«
»Sie beide haben sehr zurückgezogen gelebt?«,
fragte Arved, während er das Besteck beiseite legte und auf den
Hauptgang wartete.
Frau Meisen tupfte sich mit der Stoffserviette den Mund ab.
»Mein Mann wollte nicht, dass wir viele Freunde haben«,
erklärte sie. »Er war immer der Meinung, wir sollten
einander genug sein. Das war auch einer der Streitpunkte an jenem
Abend im Wald, vor allem weil ich so gern zu meiner Schwester nach
Italien wollte, denn das bin ich ihr schuldig. Er hat mich wie eine
Gefangene behandelt.« Ihre Augen wurden feucht – ob aus
Trauer über ihn oder über sich, war nicht zu erkennen.
Als das Hauptgericht in tiefen braunen Tontellern kam, machte sich
Frau Meisen über ihren Schinken her, als habe sie seit Tagen
nichts mehr gegessen. Wahrscheinlich stimmte das sogar. »Aber er
war andererseits so zärtlich und lieb«, sagte sie.
»Wenn man in seine tiefen blauen Augen geschaut hat, konnte man
ihm nichts abschlagen. Ich war glücklich mit ihm. Ich war es
wirklich«, sagte sie, als müsse sie es sich selbst
versichern. In Windeseile verschlang sie den Schinken. Arved hatte
kaum die Hälfte seines Hirschbratens gegessen, als Frau Meisen
bereits auf den Nachtisch wartete. »Ausgezeichnet«, sagte
sie und lächelte Arved an. Wenn er nicht gesessen hätte,
wären ihm nun die Knie weich geworden. Doch dann wich das
Lächeln aus ihrem Gesicht, als sei es ausgeschaltet worden.
»Glauben Sie an die Hölle?«, fragte sie
unvermittelt.
Arved kniff die Brauen zusammen, kaute auf seinem Braten herum und
dachte nach. »Ich glaube nicht, dass es einen Ort gibt, an dem
die Menschen auf ewig nach ihrem Tod gequält werden«, sagte
er schließlich, nachdem er einen Schluck Wasser genommen hatte.
»Das habe ich bereits im Studium nicht geglaubt. Viele Theologen
sind der Ansicht, dass die Seele des Menschen nach dem Tod nur durch
einen freiwilligen Akt in die Hölle, also in ewige Abwesenheit
von Gott kommen kann«, dozierte er. »Dieser Meinung nach
wird die Seele im Moment nach dem Tod mit den eigenen
Unzulänglichkeiten konfrontiert und ihr die Möglichkeit
eröffnet, sich in einem äußerst schmerzhaften Prozess
zu reinigen, was die Theologen das Fegefeuer nennen. Je mehr der
Mensch gesündigt hat, desto intensiver ist die Reinigung. All
jene, die diese Reinigung ablehnen, fallen der Hölle anheim
– in vollem Bewusstsein der Tatsache, dass sie sich auch
für den Himmel hätten entscheiden können, denn Gott
nimmt auch den größten Sünder an.«
»Glauben Sie das alles?«, fragte Magdalena Meisen,
während sie den Birnenauflauf löffelte.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil ich nicht mehr an Gott glaube. Weil ich glaube, dass
mit dem Tod alles zu Ende ist.«
»Dann halten Sie es nicht für möglich, dass ich in
der vergangenen Nacht mit meinem Mann Kontakt hatte?«
Arved schaute sie verwundert an und vergaß zu essen.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nicht weiß, wo ich in
der letzten Nacht war«, flüsterte sie und beugte sich
über den weiß gedeckten Tisch zu ihm vor. »Das stimmt
nicht ganz. Ich weiß zwar nicht, wo ich in dieser Welt war,
aber in der anderen Welt war ich bei meinem Mann. Er leidet
entsetzliche Qualen.« Ihr Blick sprach von Angst und Mitleid,
aber nicht von Wahnsinn.
»Es ist nur natürlich, dass es nach dem Tod zu Kontakten
kommt«, erklärte Arved. »Die Psychologen
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