Hexennacht
verzerrten
Trier, in dem es andauernd dunkel war. In dem es feucht glänzte.
In dem es hallte wie in einer gewaltigen Höhle. Die
römische Palastaula neben dem kurfürstlichen Palais war
erhellt; gelbes Licht drang aus den großen Fenstern. Und in
einem dieser Fenster steckte wie ein Bleiglasbild die Gestalt
Magdalena Meisens. Sie verzog den Mund in unendlichen Schmerzen. Ein
Lichtpfeil schoss aus ihren Augen und drang in Arved, der sich
krümmte und zu Boden ging. Das Pflaster war weich und warm.
Zuckend und um sich schlagend erwachte er. Draußen war es
immer noch dunkel. Er stand auf und ging hinunter ins Wohnzimmer.
Dort saß er inmitten seiner Reliquien und wartete auf den
Tag.
Als endlich die ersten Sonnenstrahlen zaghaft um das Efeu vor dem
Fenster spielten, stand er seufzend auf, füllte die Näpfe,
säuberte das Katzenklo und verließ das Haus.
* * *
Noch war es zu früh, um bei Frau Meisen zu schellen, doch er
hielt die Ungewissheit um ihr Schicksal nicht mehr aus. Er fuhr zur
Saarburger Straße, parkte vor der Häuserzeile, stieg aus
und ging zur Tür. Obwohl es erst acht Uhr war, schellte er.
Niemand regte sich. Er schaute hoch zu den Fenstern, erst an der
Rückseite des Hauses, dann vorn. Seit gestern schien sich nichts
verändert zu haben. Sie war nicht nach Hause gekommen. Arved
seufzte und ging die Straße auf und ab. Ihr Bild erschien ihm,
als stehe sie vor ihm. Die kurzen schwarzen Haare, die braunen Augen,
die hohen Wangenknochen, die kleine und gerade Nase, der zarte Mund,
die zerbrechliche Statur, die doch wundervolle weibliche Konturen
besaß.
Was waren das für Gedanken! Er war entsetzt von sich selbst.
Du bist immer noch Priester, mein Freund, und sie ist erst vor
wenigen Tagen zur Witwe geworden. Verbanne solche Gedanken in die
Unterwelt, wohin sie gehören. Nein, als Frau interessierte sie
ihn nicht.
Er wollte ihr nur helfen.
Er wartete bis zum Abend. Als sich schon die ersten Schatten
über die Straße legten und der Himmel nach den hohen
Linden hinter der Klostermauer griff, erschien plötzlich vom
Schammat her eine Gestalt auf dem Bürgersteig. Sie ging sehr
langsam, beinahe schlafwandlerisch. Oder als wäre sie nicht mehr
nüchtern. Zuerst war sich Arved nicht sicher, ob es wirklich
Magdalena war. Doch als die Person unter einer Straßenlaterne
herschwankte, erkannte er sie. Ihr Gesicht war weiß wie
Kalk.
Arved flog aus dem Wagen und lief ihr entgegen. Sie schien zuerst
nicht zu begreifen, wer er war, doch schließlich verzog sie den
Mund zu einem schwachen Lächeln.
»Wo sind Sie die ganze Zeit gewesen? Ich habe mir solche
Sorgen um Sie gemacht«, platzte es aus Arved heraus.
Sie blieb stehen. Das Lächeln verschwand. »Ich… ich
weiß nicht…«
Er ergriff ihre Hand. »Erinnern Sie sich nicht, wie sie aus
meinem Haus weggelaufen sind?«, fragte er.
Sie kniff die Augen zusammen, als wolle sie sich etwas ungeheuer
Fernes in die Erinnerung zurückrufen, dann schüttelte sie
den Kopf. »Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nur,
dass… mein Mann… tot ist.« Sie brach in Tränen
aus und legte den Kopf an Arveds Schulter. Was hätte er darum
gegeben, wenn er ihr wirklich Trost hätte spenden
können.
»Kommen Sie, ich lade Sie zum Essen ein. Sie sehen aus, als
hätten Sie schon einige Zeit nichts Richtiges mehr zu sich
genommen«, meinte er und strich ihr sanft mit der Hand über
die Schulter. Als sie sich etwas versteifte, ließ er sie sofort
los.
»Ja«, sagte sie nur.
»Wären Sie mit dem Domstein einverstanden? Man
kann dort wunderbar römisch essen. Das wäre vielleicht eine
Abwechslung für Sie und bringt sie auf andere Gedanken.«
Magdalena Meisen sagte nichts dazu, sondern stieg nur wortlos in
Arveds Wagen.
Sie stellten den Bentley im Parkhaus am Hauptmarkt ab und gingen
die wenigen Meter zum Restaurant Domstein durch die
Fußgängerzone. Dabei kamen sie an McDonalds vorbei.
»Falls Ihnen das lieber wäre…«, meinte Arved und
versuchte ein Lächeln. Dafür erntete er ein schelmisches
Grinsen, und einen Moment lang konnte er sich vorstellen, wie
Magdalena war, wenn nicht Trauer und Leid auf ihr lasteten. Sie
gingen rasch am alten Marktkreuz vorbei, quer über den nun
verwaisten Markt, und betraten das Restaurant.
Die Tür schwang automatisch auf. Arved geleitete die Witwe
hinunter in den römischen Weinkeller und bestellte für sie
beide ein Menü aus lukanischen Würstchen mit Bohnen und
einem Weinbrötchen als Vorspeise, danach Hirsch in
Damaszenersoße für
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