Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
nennen
das…«
    »Die Psychologen wissen gar nichts!«, brauste Frau
Meisen auf. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und schaute sich um.
Sie waren die einzigen Gäste hier unten. Leiser fuhr sie fort:
»Es war Trier, aber gleichzeitig war es ein völlig anderer
Ort. Ein Ort der Qualen. Ich kann nicht beschreiben, was ich da
gesehen habe. Es war auch kein richtiges Sehen, eher ein Spüren.
Außerdem war es wie durch eine Glaswand. Und da war auch
Jürgen. Er war irgendwo hier, das wusste ich. Unter der Erde. Er
lag auf einer Pritsche und wurde bewacht. Ich habe nicht gesehen, was
ihn gequält hat, aber es muss schlimm gewesen sein. Er hat mich
angefleht, ihm zu helfen.«
    Arved stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und legte das
Kinn auf die zum Dach gefalteten Hände. »Sie befinden sich
in einer sehr schwierigen Situation«, meinte er. »Da kann
es schon einmal sein, dass…« Weiter kam er nicht.
    Denn Frau Meisen, die soeben ihren Birnenauflauf verspeist und den
kleinen Löffel in das Schälchen gelegt hatte, wurde vor
Arveds Augen durchscheinend. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war eine
Mischung aus Lächeln und Grauen. Und Wissen.
    Arved schreckte zusammen, rieb sich die Augen, streckte die rechte
Hand aus, als wolle er im Dunkeln etwas ertasten, doch vor ihm
saß niemand mehr. Er sprang auf. Lief um den Tisch herum.
Magdalenas Stoffserviette war zu Boden geglitten.
    Magdalena Meisen war verschwunden.

 
10. Kapitel
     
     
    Als der Kellner abräumte, wollte Arved ihn fragen, ob er
gesehen habe, wie eine junge Frau nach oben gegangen sei. Er
unterließ es, weil er sich nicht lächerlich machen wollte.
Er zahlte rasch und schaute auf der Damentoilette nach, die sich im
Untergeschoss neben dem römischen Weinkeller befand. Mit
rasendem Herzen stürmte er hinein, doch Magdalena war nicht
da.
    Er schaute überall im Restaurant nach, denn er traute seinen
Sinnen nicht. Es war unmöglich, dass sich ein Mensch einfach in
Luft auflöste! Ihm kam ein Gedanke, der genauso schrecklich wie
eine solche Durchbrechung der einfachsten Naturgesetze war: Was war,
wenn er gar nicht mit Magdalena Meisen in dieses Lokal gegangen war?
Wenn er sich nur eingebildet hatte, dass sie ihn begleitete? Wenn er
selbst langsam verrückt wurde? Er ging nach draußen in den
lauen Maiabend.
    War er vorhin allein am Marktkreuz vorbeigegangen? Hatte er
Selbstgespräche geführt? War alles nur eine
Wunschvorstellung gewesen?
    Sein Wagen stand dort, wo er ihn abgestellt hatte; seine
Erinnerung hatte ihn in diesem Punkt nicht getrogen. Er fuhr aus dem
Parkhaus und fühlte sich, als fahre er durch Watte. Als lebe er
in Watte. Als denke er in Watte. Er musste etwas unternehmen.
    Zuerst fuhr er wieder in die Saarburger Straße.
Natürlich war Magdalena Meisen nicht dort. Dann machte er sich
auf den Weg nach Hause. Als er schon fast am Ziel war, sah er
plötzlich in der Thebäerstraße, etwa in Höhe des
Malteser-Hilfsdienstes, eine junge Frau schnell die Straße in
Richtung Sankt Paulin hinuntergehen, die ihn stark an Frau Meisen
erinnerte. Natürlich war es kaum möglich, dass sie so
schnell hergekommen war, es sei denn, sie hatte ein Taxi genommen. Er
fuhr an ihr vorbei, bremste am Straßenrand und hastete aus dem
Wagen.
    Sie war es.
    Mit ausgebreiteten Armen lief er auf sie zu. Dann blieb er stehen.
Sie war nur wenige Meter von ihm entfernt und hielt ebenfalls an.
    Ihre Augen…
    Ihre schönen rehbraunen Augen waren fort. An ihrer Stelle
klafften schwarze Löcher. Unschlüssig machte Arved einen
Schritt auf sie zu. Er roch etwas Seltsames. Süßes.
Verwesendes. Er kannte diesen Geruch, hatte ihn in seinem Wagen
wahrgenommen, als sie Jürgen Meisen transportiert hatten. Er
wollte die junge Frau an der Schulter packen. Der Blick in die toten
Augenhöhlen war entsetzlich. Er griff wie in eine Wolke. Tausend
Hocken stoben auf, wie schwarzer Schnee. Er verwehte in einem
aufkommenden Wind, der an Arveds schwarzen Rockschößen
spielte. Fort.
    Mit zitternden Knien ging er zu seinem Wagen zurück und fuhr
die wenigen Meter bis zu seinem Haus – in einem Zustand, der an
Bewusstlosigkeit grenzte.
    * * *
    In der Nacht erhielt er Besuch von Magdalena Meisen. Zuerst betrat
sie sein Schlafzimmer durch die geschlossene Tür. Sie
flüsterte ihm süße Worte ins Ohr und lockte ihn aus
dem Haus. Sie zeigte ihm die Stadt der Nacht. Sie lief mit ihm durch
den Zaun, der die Thermen hinter dem Landesmuseum absperrte, zog ihn
in die unterirdischen Wassergänge und

Weitere Kostenlose Bücher