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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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diesen
schrecklichen Autounfall hatten, verursacht von einem Betrunkenen,
der bei der Verhandlung nur dumm grinsend dagesessen hatte? Er war
nicht verurteilt worden. Schuldunfähig, hatten die Juristen
gesagt.
    Hatte er seinen Studienfreund Ansgar gerettet, der sich in
Verzweiflung über Gottes Schweigen an einer Spielplatzschaukel
erhängt hatte? Hatte er Ansgars Mutter gerettet, die
darüber wahnsinnig geworden war?
    Hatte er ein Ohr für all die unschuldigen Opfer von Gewalt
und Terror?
    Arved nahm eines der kleinen Reliquienkreuze in die Hand, deren
Rückseite man aufklappen konnte. Nichts als Symbole.
    Er legte das Kreuz zurück auf den Ausziehtisch, den er aus
Platzmangel hierher gestellt hatte, und verließ die Ansammlung
von Knochen und anderen Reliquien. Von unten drang Louis Armstrongs
Stimme hoch: »And when the Saints…« Er lief die steile
Marmortreppe hinunter und schaltete den CD-Spieler aus. Die Katzen
waren wieder verschwunden. Arved zog sich aus, duschte, stellte dabei
fest, dass er in den letzten Tagen abgenommen hatte, und ging zu
Bett, nachdem er sich einen dunkelblauen Seidenpyjama aus dem muffig
riechenden Kleiderschrank genommen hatte. Er musste einmal richtig
lüften, dachte er. Und er musste mit sich selbst ins Reine
kommen. Dabei konnte ihm niemand helfen. Auf keinen Fall diese Lioba
Heiligmann, dachte er. Und schlief ein.
    Und begegnete Magdalena Meisen. Sie stand mitten im Trierer Dom,
zwischen den Stühlen. Ein Lichtstrahl fiel auf sie und
erleuchtete ihr Gesicht. Ihr wunderschönes,
gleichmäßiges Gesicht. Doch die Augenhöhlen waren
leer. Arved stand einige Meter von ihr entfernt. Sie schien ihm etwas
zuzurufen, aber er hörte nichts. Dann wandte sie sich von ihm ab
und lief in das südliche Seitenschiff, von dem der Kreuzgang
abzweigte. Magdalena riss die Tür auf und war verschwunden.
Arved setzte ihr nach. Er fand Magdalena zwischen den drei
großen modernen Bronzeengeln auf dem Rasengeviert, das von dem
Kreuzgang eingeschlossen wurde. Die Engel sagten zu Arved: »Es
wird Zeit. Bald ist sie nicht mehr zu retten.«
    »Warum rettet ihr sie nicht?«, fragte Arved leise und
hielt sich in gebührendem Abstand von den himmlischen Wesen,
auch wenn er genau wusste, dass sie aus Bronze und das Werk eines
begnadeten Bildhauers waren.
    »Es kann sie nur jemand retten, der aus der Welt kommt. Wir
sind nicht aus der Welt und nicht in der Welt.«
    »Warum rettet Gott sie nicht?«, wollte Arved wissen und
machte einen Schritt an die Engel heran. »Kann er es etwa auch
nicht? Ist er denn nicht allmächtig?«
    »Er ist allmächtig, aber er wird nicht eingreifen. Seine
Geschöpfe sind die Herren ihrer Handlungen. Jede Handlung wirkt
sich auf andere Geschöpfe aus. Gott interveniert
nicht.«
    »Gott ist grausam.«
    »Gott führt ein großes Experiment durch. Er kennt
das Ergebnis, aber seine Geschöpfe müssen es aus eigener
Kraft erreichen.«
    »Warum?«
    »Weil sie sich ansonsten nicht beweisen können. Weil
ansonsten ihre Leistung nicht belohnt werden kann.« Die Engel
redeten gleichzeitig; es klang beinahe wie ein Sprechgesang.
    »Und wenn ich versage?«
    »Dann wird sie für immer dort bleiben, wo sie jetzt
ist.«
    »Wo ist das?«
    »Das weißt du.«
    »Nein.«
    »Du willst es nicht wissen. Du leugnest es. Du leugnest deine
eigene spirituelle Existenz. Du bist zurückgefallen in die
Zweidimensionalität.« Die Engel beugten sich zu Magdalena
herab. Jetzt hörte Arved ihren Schrei. Die Engel waren zu
Dämonen geworden, schrecklich anzusehen, unbeschreiblich, ein
Gewimmel tiefster Bösartigkeit. Er fiel in den Schrei ein und
erwachte.
    Neben seinem Bett saßen Lilith und Salomé und
starrten ihn an. Auffordernd, wie ihm schien. Er wischte sich mit dem
klammen Betttuch den Schweiß aus dem Gesicht und hielt eine
Hand nach unten. Sofort spürte er die raue Zunge einer der
Katzen. Er wollte die Hand wieder wegnehmen, aber er traute sich
nicht. Das Lecken wollte kein Ende nehmen. Die andere Katze
schnurrte, als werde sie gestreichelt. Was hatte er da nur
geträumt? Schuldgefühle, würde Thomas sagen. Thomas
der Todgeweihte. Schuldgefühle, weil er seinen Gott verraten
hatte. Weil er nicht mehr an das glaubte, was er mit seinen Sinnen
nicht wahrnehmen konnte.
    Lioba Heiligmann. Nomen est omen, hieß es. Er würde sie
aufsuchen. Gleich morgen früh. Was konnte es schon schaden?
Welchen Beruf hatte sie? Hoffentlich handelte es sich bei ihr nicht
um eine dieser modernen Esoterikerinnen, die

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