Hexennacht
ins Obergeschoss
hochzog. Frau Heiligmann trug schwere Wanderschuhe, die jeden Schritt
zu einer kleinen Erschütterung machten.
Arved wurde in das Zimmer rechts neben dem Flur geführt. Er
hatte schon erwartet, eine ähnliche Einrichtung wie die seiner
psychiatrischen Freundes zu sehen, und war mehr als erstaunt, als er
sich in einem großen, wenn auch niedrigen Raum wiederfand,
dessen Wände mit einem eleganten, eingepassten Vitrinensystem
verkleidet waren. In den Vitrinen standen Bücher.
Tausende alte Bücher in Pergament- und Ledereinbänden,
die im Licht der kleinen, unaufdringlichen Deckenlampe warm
glänzten. Die einzigen anderen Möbel waren zwei Ledersessel
und ein kleiner Mahagonitisch dazwischen, auf dem eine offene
Weinflasche, ein benutztes Glas und ein überquellender
Aschenbecher standen. Eine halb volle Schachtel Zigarillos lehnte
gegen den Ascher. Die seltsame Frau setzte sich in einen der Sessel
und bot Arved den anderen an. Sie schlug die Beine übereinander;
die Wanderschuhe wirkten wie orthopädische Stopfen an ihren
ansonsten noch recht schönen Beinen, wie Arved nicht ohne einen
Anflug von Scham feststellte.
»Was ist los mit Thomas? Warum meldet er sich nicht
mehr?«, fragte Frau Heiligmann.
Arved erzählte ihr freimütig von seinem Besuch bei dem
Psychiater, konnte aber kein Licht auf die Art der Erkrankung
werfen.
»Hört sich an wie Krebs«, meinte Lioba Heiligmann
ungerührt und mit fester Stimme, doch Arved bemerkte, dass ihre
Augen kurz einen feuchten Glanz annahmen. »Armer Kerl. Er war
zwar immer schon etwas merkwürdig, aber ein guter
Psychiater.«
»Er hat gesagt, Sie könnten mir vielleicht
helfen.«
»Was haben Sie denn für Probleme? Suchen Sie eine alte
Ausgabe des legendären Necronomicon? Oder vielleicht die
Erstausgabe des Hexenhammers?«
Arved schaute sie verständnislos an.
»Sind Sie nicht wegen Büchern hier?«
»Wegen Büchern?«
»Na, Sie wissen schon: diese Dinger aus Papier zwischen zwei
Deckeln, mit denen man so schön rascheln kann.«
Arved wurde rot. Sie schaute ihn amüsiert an; seine Reaktion
schien ihr zu gefallen. Er mochte es nicht, wie diese Frau mit ihm
umging. Sie drückte ihren Zigarillo in dem Aschenbecher aus,
griff zu der Weinflasche, die auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen
stand, und goss sich ein Glas ein. Arved bot sie nichts an. Sie
schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die gelbe
Flüssigkeit. Arved beobachtete sie verstohlen. Was für ein
Trampel, dachte er. Wieso sollte sie ihm helfen können?
Würde er es überhaupt schaffen, ihr von seinen seltsamen
Erlebnissen zu erzählen?
Lioba Heiligmann öffnete die Augen wieder und sah ihn fest
an. Er hatte den Eindruck, als falle er in diese zwei kleinen
schwarzen Abgründe, als werde er hineingesogen, als zerre etwas
an seinem Innersten. »Also, was verschafft mir die Ehre Ihres
Besuches, wer immer Sie sein mögen?«
Arved bemerkte, dass er sich noch nicht einmal vorgestellt hatte.
Er schluckte, nannte seinen Namen und druckste herum, als er von
Magdalena und ihrem Mann berichten wollte.
Lioba Heiligmann wandte den Blick nicht von ihm ab. Sie schien
nicht zu blinzeln – wie eine Schlange, dachte er. Und ich bin
das Kaninchen.
»Sie wirken wie ein Priester«, meinte sie
schließlich, während sie sich ein weiteres Glas eingoss.
»Stimmt’s?«
Arved zerrte ein wenig an seinem weißen Hemdkragen und
antwortete: »Ja und nein.« Er fasste sich ein Herz und
legte ihr in kurzen Worten seine Suspendierung sowie sein seltsames
Erbe dar. Als er die Katzen und seine Schwierigkeiten mit ihnen
erwähnte, lächelte Lioba Heiligmann und sagte: »Zwei
schwarze Katzen? Genau wie damals. Hexengefährten.
Geschöpfe des Teufels nannte man sie. Ich mag Katzen sehr. Ich
hatte selbst einmal eine schwarze Katze. Seit sie gestorben ist,
möchte ich keine neue mehr, denn ich habe zu sehr an Federlin
gehangen. Und Sie werden auch noch dazu kommen, diese kleinen pelzige
Wesen zu schätzen. Aber was hat das alles mit mir zu tun? Ich
habe einige Priester als Kunden, aber keiner davon glaubt nicht an
das, was er bei mir kauft.«
»Sie handeln mit Büchern?«, fragte Arved
vorsichtig.
»Ich bin die bekannteste Antiquarin für Okkulta im
ganzen Bundesgebiet«, sagte sie nicht ohne Stolz. »Viele
Wissenschaftler sind unter meinen Kunden, aber auch viele abgedrehte
Typen. Wozu gehören Sie?« Sie sah ihn an, wie ein
Insektenforscher eine neue Mottenart betrachtet. Ihre Blicke waren
wie kleine
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