Hexennacht
auf ihn zu bewegten,
die jeder Beschreibung spotteten. Ruinen menschlicher Körper.
Durchsetzt mit anderem organischem Material. Durchsetzt mit
Drähten, Leitungen, Mauerteilen, Blechen. Er riss die Tür
wieder auf und rannte hinaus.
Und geradewegs in ein Pärchen hinein, das ihn belustigt und
erstaunt anstarrte. Er murmelte eine Entschuldigung, ließ sie
ziehen, sie warfen einen Blick zurück auf ihn, tuschelten,
lachten. Er schaute an der Fassade seines Hauses hoch. Nichts deutete
darauf hin, was sich nun darin befand. Oder war es nur Einbildung
gewesen? Um nichts in der Welt wollte er nachschauen.
Unschlüssig stand er auf der Straße. Er zupfte an
seinem Jackett und nestelte an seiner dunkelroten Krawatte. Ulrich
hatte Unrecht gehabt. Es war noch nicht vorbei. Er hatte sich nicht
selbst exorziert. Er war nicht ans Ziel gelangt. Er musste den
Versuch wiederholen. Aber wie? Was hatte er falsch gemacht? Wie
sollte er nun vorgehen?
Das Einzige, was ihm auf all diese Fragen einfiel, während er
orientierungslos in der Palmatiusstraße stand, war ein
Name.
Lioba Heiligmann.
Sie hatte ihn schon öfters enttäuscht, aber mit wem
sollte er sonst darüber reden? Thomas Hieronimi war derselben
Auffassung wie Ulrich Schwarz, wenn auch aus einer anderen
Geisteshaltung heraus. Beide konnten oder wollten ihn nicht
verstehen. Aber Lioba Heiligmann betete wenigstens zur heiligen
Elisabeth von Thüringen. Sie kannte sich im okkulten Sumpf
bestens aus. Vielleicht hatte sie ja noch eine Idee. Er fasste sich
ein Herz und ging zu ihr.
* * *
Nachdem Lioba Heiligmann ihm ein Glas Weißwein eingeschenkt
hatte – »Trittenheimer Altärchen; aus dem
Geburtsort des großen Theologen und angeblichen Magiers
Johannes Trithemius« –, hörte sie sich Arveds
Geschichte an, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Sie zog an
ihrem Zigarillo, hatte die Beine übereinander geschlagen, sodass
ihr geblümtes Kleid, diesmal ein anderes mit Rot als Grundfarbe,
recht hoch gerutscht war und erstaunlich wohl geformte Schenkel
freilegte, und schaute den Rauchkringeln nach, die zur niedrigen,
vergilbten Zimmerdecke aufstiegen. Als er fertig war, sagte sie lange
Zeit nichts. Sie sah ihn an, sah fort, runzelte die Stirn, kaute auf
der Unterlippe herum.
»Hmm«, meinte sie schließlich. »Es gibt halt
doch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich unsere
Schulweisheit träumen lässt, wie der Barde sagt. Ich bin
der Meinung, Sie sollten es noch einmal versuchen.«
»Aber wie?«, fragte Arved verzweifelt und hielt
beschwörend die Hände auseinander wie beim Hochgebet.
»Beim letzten Mal habe ich mich an etwas erinnert, kurz
nachdem Sie gegangen waren«, sagte Lioba Heiligmann und hielt
den Zigarillo damenhaft zwischen den Fingern. Voller Erstaunen sah
Arved, dass die Nägel diesmal blassrot lackiert waren. Es stand
ihr gar nicht schlecht. »Ich behalte auch die neue Literatur zum
Hexenwesen und der Magie im Auge – zumindest die
seriöse«, erklärte sie. »Vor ein paar Monaten kam
das Buch eines Journalisten heraus, der Feldforschungen zu neuen
Hexen- und Satansanbetern im Trierer und Eifeler Raum betrieben hat.
Was er alles ans Tageslicht gebracht hat, ist mehr als erstaunlich.
Warten Sie.« Sie legte den Zigarillo mit einer eleganten Geste
auf dem Aschenbecher ab, sah ihn dabei kurz an, stand auf und ging
aus dem Zimmer. Irrte er sich, oder trug sie diesmal den Anflug eines
Lidschattens? Überhaupt schien sie um Jahre verjüngt zu
sein. Zuerst hatte er sie gar nicht wahrgenommen, hatte nur seine
Geschichte erzählen wollen, doch nun stellte er kleine,
angenehme Veränderungen an ihr fest. Die Wanderstiefel
allerdings trug sie immer noch.
Kurze Zeit später kam sie mit einem kleinen, in gelben Karton
gebundenen Taschenbuch zurück und gab es Arved. Dabei
berührten sich ihre Hände den Flügelschlag eines
Schmetterlings lang. Arved sah erstaunt zu ihr auf. Sie schien es
nicht bemerkt zu haben. Rasch warf er einen Blick auf das Buch. Magie und Satanismus in Eifel und Trierer Land, lautete der
Titel. Der Verfasser war ein gewisser Achim Lang-Wege. Arved
blätterte ziellos in dem Buch herum.
»Schlagen Sie mal die Seite 141 auf«, riet Frau
Heiligmann.
Hexerei im Kunowald, stand da. Es folgte ein Bericht des
Reporters über die Kontaktaufnahme mit einer Satanistengruppe,
die jedes Jahr zur Walpurgisnacht im Kunowald oberhalb vom Kloster
Himmerod, wie er schrieb – es kam eben nur auf den Blickwinkel
an, in räumlicher wie in gedanklicher
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